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Ausgabe 1/2014


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DEUTSCHLAND I

DISSIDENTEN
How Long Is Now? Unplugged Live In Berlin
www.dissidenten.de
(EXIL 98242-2/Indigo)
13 Tracks, 79:23


Das Label „unplugged“ ist an sich etwas ausgelutscht – die Dissidenten aber sind bekanntlich keine Musiker, sondern Zauberer. Mit Magie, anders kann man diesen Liveauftritt wirklich nicht beschreiben, hauchen die drei Derwische dem Genre und nebenbei ihren eigenen Klassikern neues Leben ein. Die Stücke klingen lebendiger, energetischer als ihre elektrifizierten Originalversionen. Vergleichsweise gesittet beginnt das Konzert, das bei einer relativ spontanen Aktion für Freunde mitgeschnitten wurde, mit „At The Pyramids“. Mit dem „Song 4 A Rainbow“, den man durch die Zusammenarbeit der Dissidenten mit Jil Jilala bereits in einer aggressiven Variante kennt, wird es dynamischer, bricht Spielfreude sich Bahn.  DISSIDENTEN: How Long Is Now? Unplugged Live In Berlin Entscheidend für die Qualität dieser Aufnahme sind die Mitmusiker. Mit Elke Rogge und Till Uhlmann stand den Dissidenten die deutsche Drehleierelite zur Seite – das Spiel der beiden bestimmt vollständig den Klang der Aufnahme. Mit Roman Bunka, Gefährte aus alten Embryo-Zeiten an der Gitarre, Mandolincellist Noujoum Ouazza sowie Sängerin Mennana Ennaoui und Sänger Manickam Yogeswaran erhalten die Dissidenten versierte Verstärkung aus dem Weltmusiklager. Zusammengewürfelt wie sie sind, spielen alle wie ein kleines Orchester. Es gibt keine Aufteilung in Band und Gastmusiker, keine Starauftritte, kein Gehabe. Alle Beteiligten sind Neigungstäter, die sich gegenseitig anheizen, eingespielt als würden sie seit Jahrzehnten miteinander musizieren – was ja nur zum Teil auch der Wahrheit entspricht. In „All India Radio“ ist der Ballwechsel zwischen den Musikern kaum noch wahrnehmbar. „Fata Morgana“, einer der Klassiker der Band, wird zum spirituellen Erlebnis. So treiben die Dissidenten den Hörer über achtzig Minuten von Höhepunkt zu Höhepunkt, bis How Long Is Now? mit „Light Of Love“ am Ende wieder ruhigere Fahrwasser erreicht, um die Passagiere heil von Bord gehen zu lassen. Jedes Stück wie aus einem Guss. Der gesamte Auftritt eine durchkomponierte Einheit. Ein Meisterwerk.
Chris Elstrodt

DEUTSCHLAND II

BARBARA THALHEIM & BAND
Zwischenspiel
www.barbara-thalheim.de
(Conträr Musik 97963-2/Indigo)
16 Tracks, 75:33 , mit dt. Texten u. Infos


Eigentlich wollte Barbara Thalheim sich nach dem Tod ihres langjährigen Bühnenpartners, des Bandoneonvirtuosen Jean Pacalet, endgültig aus dem Musikzirkus zurückziehen. Ihre Musiker allerdings waren da völlig anderer Meinung. Nach langem Drängen gab sie schließlich nach und wagte einen Neuanfang, der in ein fulminantes Comeback auf der Bühne und in eine wirklich außergewöhnliche Liveproduktion mündete. Der Titel Zwischenspiel lässt sogar die Vermutung zu, dass es nach mehr als vierzig Bühnenjahren und zwanzig Albumeinspielungen nun erst richtig losgehen könnte. Barbara Thalheim ist ganz offensichtlich eine in vielerlei Beziehung gereifte Künstlerpersönlichkeit, die nach etlichen Höhen und  BARBARA THALHEIM & BAND: Zwischenspiel Tiefen, Irrwegen und Schicksalsschlägen, Verletzungen und Triumphen niemandem mehr etwas beweisen muss, auch sich selbst nicht. Kongenial unterstützt von einer entspannt groovenden Band, bestehend aus dem Gitarristen Rüdiger Krause, dem Percussionisten Topo Gioia und dem Keyboarder Bartek Mlejnek, haucht und flüstert, poltert und brüllt sie ihre grenzüberschreitenden Lieder und Chansons. Ihr Gesangsstil ist eher ein Sprechen und ein Erzählen, als ein herkömmlicher Melodiegesang. Ihre Botschaften kommen als Klartexte ohne Plattitüden, als Poesie ohne manierierte Verschnörkelungen daher. Sie singt und erzählt von Unrast und Selbsterkenntnis („Die Schwester der Liebe“), von bitter-süßer Sehnsucht („Der Rest der Nacht“, „Mein Ritter“), von der reinen Liebe („Die Liebe, die ich meine“), von westlichem Überfluss („Die Afrikanerin“) und von historischen Irritationen („Biografien“). Die angenehm unaufdringlichen, dadurch umso wirkungsvolleren Jazzklänge und -rhythmen der Band harmonieren vortrefflich mit den zuweilen schnoddrig und durchaus auch selbstironisch inszenierten und vorgetragenen Texten voller Tiefe und Intensität. Und dennoch schwebt über allem eine luftige Leichtigkeit. Da ist jemand bei sich selbst angekommen. Künstlerisch und menschlich.
Kai Engelke

ENGLAND

DIVERSE
The Full English
www.fayhield.com
www.topicrecords.co.uk
(Topic Records TSCD823)
12 Tracks, 47:04 , mit engl. Infos u. Texten


Ein klingendes Beispiel, ein perfektes Abbild der positiven Stimmung, die in der englischen Folkszene ebenso wie in der English Folk Dance and Song Society (EFDSS) momentan herrscht, ist The Full English. Anlässlich der Freischaltung ihres Onlinearchivs – siehe Artikel in diesem Heft auf Seite 28 – beauftragte die EFDSS Sängerin Fay Hield, aus eben diesem Material eine Auswahl zu treffen und damit Neues zu schaffen. Hield holte eine ausgesprochen illustre, teils junge, teils erfahrene Kollegenschar in die Real World Studios: Seth Lakeman (Fiddle, Viola, Bouzouki), Martin Simpson (Gitarre), Nancy Kerr (Fiddle, Viola), Ben Nicolls (Kontrabass, Konzertina), Rob Harbron (Konzertina, Fiddle) und Sam Sweeney  DIVERSE: The Full English (Fiddle, Cello, Nyckelharpa, Percussion), allesamt auch ausgesprochen kompetente Sänger. So setzt The Full English auch gleich zu Anfang mit einer kraftvollen A-capella-Version von „Awake, Awake“ das richtige Ausrufezeichen. Die Lieder und zwei Instrumentals sind traditionell, aber verändert und ergänzt, wie es mit derartigem Material schon immer geschah; ein Lied ist eine Komposition Nancy Kerrs. Schade ist, dass es sich hier, obwohl die Formation auch Konzerte gegeben hat, aller Wahrscheinlichkeit nach um ein einmaliges Projekt handeln dürfte – denn diese Künstlerkombination hat enormes kreatives Potenzial. Da trafen sich sieben Personen, denen die traditionelle englische Musik am Herzen liegt und die sich bei aller Liebe zu den Wurzeln weder musikalische, noch nationale Scheuklappen anlegen. Das manifestiert sich weniger in Einflüssen aus anderen Ländern oder stilistischen Variationen, obwohl auch solche zu hören sind. Vielmehr ist es so, dass die Arrangements und die Präsentation der meisten Lieder nicht nur voll mitreißender Energie stecken, sondern durchweg zu jubilieren, ja, zu triumphieren scheinen. Selbst bei einem ruhigen, reflektiven Song wie „Portrait Of My Wife“ – alles natürlich immer mit einem traditionell empfundenen Grundton. Ein überaus optimistisches Album!
Mike Kamp