Tonträger, Bücher, DVDs, Filme, Plattenprojekte und besondere Empfehlungen der Folker-Redaktion.
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ALEX BEHNING Streunen ohne Schnur (Ufer Records)
Der Künstler Alex Behning veröffentlicht mit Streunen ohne Schnur eines der schwierigsten Alben der letzten Zeit und damit auch eines der interessantesten. Die Klangfarbe des Sängers hat einen hohen Wiedererkennungswert und findet sich irgendwo zwischen Hamburger Schule und Stoppok. Behning singt auf Deutsch, doch die ersten Bilder im Kopf des Hörers passen eher zu einer Country-&-Western-Kulisse. Ein Western, der jedoch nicht in den amerikanischen Wüsten spielt, sondern vielleicht eher in Mecklenburg oder im Wendland. Gleichzeitig hat die Musik keine Ähnlichkeit mit der von heutigen Liedermachern, die Geschichten in den Liedern ähneln eher Vertonungen von Jim-Jarmusch-Filmen. Denkt man dann aber an Düsterfolker wie Nick Cave, ist man ebenfalls auf dem Holzweg. Behnings Musik haftet nichts Punkiges an. So entzieht sich der Musiker jeder Kategorie, jedes Stück klingt wie ein Stilbruch, ohne dass sich die Stile konkret bezeichnen ließen. Und so bleibt dem Hörer nichts anderes übrig, als sich auf den Künstler einzulassen und ihn lieben zu lernen. Das Ergebnis ist ein weiterer Kandidat für den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Chris Elstrodt
| JAN CORNELIUS Vör Anker (Artychoke), mit plattdt. Texten
„Min Gott, he snakt keen Plattdütsch mi, und he versteiht uns nich“, heißt es in einem volkstümlichen Lied, mit dem Jan Cornelius aus Leer freilich nicht gemeint sein kann und was auch auf die Hörer und Hörerinnen seines Albums nicht zutreffen muss, sofern sie den Texten folgen wollen. Sie sind allesamt im Beiheft auf Plattdeutsch abgedruckt, es gibt jedoch ein kleines Glossar mit einigen Wortübersetzungen. Versteht man diesen Dialekt, entdeckt man eine ganz zarte Poesie: „Leeder sünd för mi as Breven, / de ik weer un weer geern schriev / an mien Frünnen, an mien Leeven, / dat ik alltied bi hör bliev.“ Oder: „Paden dör de Nachten sünd as Paden dör de Tid, / bi de du di fragen deist, is’t Enn dicht bi of wied?“ Ja, es geht hier um das Leben in seiner Endlichkeit, um die Frage, was bleibt, aber auch, wie man angesichts von Bedrohungen noch frei leben kann. Und wer „keen Plattdütsch versteiht“, kann einfach Cornelius’ sanften Gesang zur Gitarre und die Begleitung durch Christa Ehring auf Cello, Flöte, Bassukulele und Keyboards sowie Klaus Hagemann an Gitarre und E-Gitarre und beider Chorgesang genießen – und sich norddeutsche Landschaften vorstellen. Ein Meisterwerk regionaler Musikkultur! Michael A. Schmiedel
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DIE GRENZGÄNGER Hölderlin (Feinste Musikkonserven), mit dt. Texten u. Infos
Friedrich Hölderlin (1770-1843) ist schon für Lyrikfreunde kein einfacher Autor. Er schwebt zwischen Klassizismus und Revolution, zwischen hoher Kunst und Irrsinn. Seine Gedichte von Michael Zachcial gesungen zu hören, macht es nicht einfacher. Aber das soll es wohl auch gar nicht sein. Den Texten ist schwer zu folgen, die Melodien sind keine Ohrwürmer, nein, es ist richtige Arbeit, sich damit zu beschäftigen, eine Arbeit, die die Grenzgänger sich zweifelsohne machten. Alle Texte sind abgedruckt, dabei kurze Infos über die Entstehungskontexte der Gedichte. Und, vielleicht typisch Grenzgänger, irgendwann erscheint Hölderlin in erster Linie als Gesellschaftskritiker, als jemand, der ausgestoßen wurde in seinen Turm in Tübingen, nicht weil er verrückt, sondern weil er unbequem war. Ein hochintellektueller Stachel im Fleisch der restaurativen Gesellschaft. Wo er fünf Jahre nach seinem Tod gestanden hätte, scheint klar: „Ich duld es nimmer! Ewig und ewig so / Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter / Die kurzen, vorgemeßnen Knabenschritte / Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!“ Verschiedene Gitarren, Bässe und Saxofone, Ukulele, Cello, Akkordeon, Mandoline und Schlagzeug umspielen den Gesang in vielen Stilen. Michael A. Schmiedel
| FABIAN HOLLAND Under The Red Island Bakery (String Box)
Alles fließt – das war der Anspruch des Multiinstrumentalisten, auch oder gerade unter „atemberaubenden“ Umständen, ein lückenloser Wechsel zwischen seinen diversen Gitarren, Ukulele, Trompete und südamerikanischem Charango. Und alle Stücke nahm er an einem Tag auf, in „einer einzigen Einstellung“, wie man beim Film sagen würde. Als Studio diente ihm der Keller der Berliner Wohnung, in die der Londoner Brexit-Flüchtling eben gerade gezogen war, nachdem er kurz zuvor zum ersten Mal Vater geworden war. Seine Themen sind aus dem Leben gegriffene Beobachtungen, die er ins Philosophische spazieren führt, und kleine fantasievolle Geschichten, zu denen seine neue Umgebung ihn offenbar inspirierte. Diese nennt er bereits im Titel – und in der ehemaligen Bäckerei befindet sich auch seine Wohnung. Da lässt sich auch ein Titel wie „Flour Bed“ zuordnen. Davon, dass Holland aufgrund der rasanten Bewegung in seinem Leben versuchte, sein Œeuvre hier absichtlich auf ein „tieferes Niveau“ zu senken, ist hinsichtlich der Qualität nichts zu merken. Entstanden sind zehn ruhige, verspielte Titel in meisterlicher Instrumentierung. Imke Staats
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SARAH LESCH Der Einsamkeit zum Trotze (Kick The Flame)
Sie sieht sich als Handwerkerin, die Geschichten aus dem Leben erzählt. Und auf ihrem vierten Album demonstriert die 34-jährige Liedermacherin ihre Kunst erneut herausragend. Denn Leschs Geschichten sind nicht einfach Beobachtungen des Alltags. Sie hat sie selbst oft schmerzhaft erlebt, und sie hat keine Angst, sich damit in ihren Liedern zu offenbaren. Es ist diese Offenheit, in der sich der Hörer sofort wiederfindet. „Ich bin ängstlich und einsam, schrullig, nervös, eitel, selbstgerecht, faul, manchmal klug, witzig oder hübsch zurechtgemacht. Aber einsam innen“, sagt Lesch. Wer kennt das nicht von sich selbst? So singt sie schonungslos vom Verlust, von der Notwendigkeit und der Sehnsucht nach Gemeinsamkeit. Sie macht deutlich, dass erst das Ende des Schweigens den Schmerz der Einsamkeit durchbrechen kann. All das gelingt ihr auf den zwölf teils chansonesken, mal folkigen oder poppigen Songs mit großem Sprachwitz und einfühlsamen Bildern, die trotz aller Traurigkeit nicht zuletzt durch ihre schwingenden Melodien eine große Kraft ausstrahlen. So zieht der Hörer nach dem letzten Lied, „Geh Nach Haus“, mit einem Lächeln von dannen in der Gewissheit, dass Verletzlichkeit Verbundenheit entstehen lässt. Erik Prochnow
| GEORGE MAJOR Porch Songs 2 (Prosodia)
Seine immense Erfahrung als Musiker scheint jetzt erst richtig aufzublühen. Über dreißig Jahre ist der in Dortmund lebende Engländer bereits auf den Bühnen unterwegs. Doch erst 2019 hat er sein erstes Soloalbum veröffentlicht. In diesem Sommer folgt nun schon der zweite Teil seiner Trilogie Porch Songs. Der aus dem Amerikanischen stammende Titel, der für das ungezwungene Musizieren auf der Veranda steht, macht erneut seinem Namen alle Ehre. George Major verströmt in seinen vierzehn Kompositionen eine wohltuende Leichtigkeit bei gleichzeitigem musikalischem und textlichem Tiefgang. Im Zentrum der sparsam instrumentierten Stücke stehen sein einfühlsames Gitarrenspiel und vor allem sein warmer Bariton, dessen großer Ausstrahlungskraft der Hörer sich kaum entziehen kann. Der ehemalige Posaunist der britischen Rheinarmee blieb nach seinem Militärdienst in Deutschland, studierte in Holland Gesang und sang beim Musical Starlight Express im Chor, bevor er in verschiedenen Bands spielte. All diese Erfahrungen bilden die Basis für sein Talent als musikalischer Storyteller. Ob politisch oder über die Liebe, Major trifft mit seinen Folksongs geradezu ins Herz. Hoffentlich lässt Porch Songs 3 nicht lange auf sich warten. Erik Prochnow
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ALEXA RODRIAN One Hour To Midnight (Enja)
Es gibt sie noch, die außergewöhnlichen Jazzkünstlerinnen, die sich jenseits jeder Erwartung nur an ihren eigenen Maßstäben orientieren. Alexa Rodrian gehört zu ihnen. Mit einer Stimme, die spielend den Spannungsbogen von Liza Minelli bis Grace Jones abdeckt, präsentiert sie ihre Eigenkompositionen und ungewöhnlichen Coverversionen. Dazu sucht sie sich für jeden Track genau einen Begleitmusiker, der ihren Gesang in einen jeweils perfekten, aber immer unterschiedlichen Rahmen setzt. So beginnt das Album mit einem Song, der nur von einem dominanten Schlagzeug und etwas Bass begleitet wird. Statt des üblichen Pianos lässt die Künstlerin sich im nächsten Stück von der Harfe begleiten. Der nachfolgende Walzer erzeugt Bilder von der Stärke eines Michael Nyman. Bei Whitney Houstons Pophit „I Wanna Dance With Somebody“ ersetzt ein Vibrafon ein ganzes Orchester. Ganz Femme fatale, übernimmt oder überlässt die Sängerin jederzeit die Führung, stellt sich sicher positioniert den begnadeten Begleitmusikern und führt jedes Duett in einen glücksbringenden Dialog. Dieses Album ist ein kleines Meisterwerk, das auch Menschen, die Jazz üblicherweise meiden, dringend ans Herz gelegt werden muss. Chris Elstrodt
| Rosa Morena Russa Caprixaba (DaCasa Records)
Die aus der Ukraine stammende, in Deutschland lebende Sängerin ist in kurzer Zeit dafür bekannt geworden, sich der brasilianischen Musik anzunehmen und diese mit ihrer Lebenssituation zu verbinden. Sie singt in fünf Sprachen Eigenkompositionen mit brasilianischer Musik, darunter auch auf Deutsch und Russisch. Zudem zeigt sie eine große Affinität zum Jazz. Ewig kann man auf dem Konzept Vielsprachigkeit und Brasilien natürlich nicht herumreiten, und deshalb macht sie jetzt genau das Richtige: Sie wählt die Universalsprache des Gesangs in der Musik, die Vokalise, das Singen ohne Worte. Diese Technik hat in Brasiliens Populärmusik wie im Jazz eine große Tradition, und somit ist das ein guter Schritt. Russa wendet diese Art bei schnellen Chorostücken wie auch bei Balladen an, dazwischen gibt es ebenfalls ein Lied in deutscher oder russischer Sprache. Russas phonetische Experimente versehen besonders die balladesken Stücke mit einer individuellen Note. So nimmt man Russa jetzt wesentlich musikalischer wahr als bisher, da man sich von ihrer Vielsprachigkeit vielleicht zu sehr verblüffen ließ. Das war wohl auch die Absicht ihres neuen Konzepts und scheint gelungen. Hans-Jürgen Lenhart
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BODO WARTKE Wandelmut (Reimkultur), mit Texten
Auf seinem neuen Album erzählt uns der charmante Klavierkabarettist vor allem von drei Problemen, die ihn zurzeit so umtreiben: von Insekten, dem kleinen Hosenscheißerchen, dessen Vater er ist und das nun sein Leben bestimmt, und von Gott und der Welt. Ein wahrhaft weites Feld, das er da beackert. Diese kleinen lästigen, fliegenden und krabbelnden Viecher (inklusive Spinnen) mag er nicht so, doch in einem zweiten Lied werden sie rehabilitiert, ein bisschen faszinierend und nützlich sind sie ja doch. Seinem neuen kleinen Haustyrannen unterwirft er sich mit liebevollem Vaterstaunen. Bleiben noch seine politischen Lieder besonders zu erwähnen, weil man ihn mit dergleichen am wenigsten verbindet. Hier erweist er sich als kritischer Zeitgenosse, der an aktuellen Auseinandersetzungen – z. B. um den Hambacher Forst – ebenso Anteil nimmt, wie er gegen Intoleranz und Fundamentalismus in klaren Worten Stellung bezieht. Das Land, in dem er leben will, wird von ihm sympathisch, aber eben auch eher romantisch entworfen. Wie stets bei Bodo Wartke verbinden sich in seinen Liedern große Musikalität und Sprachwitz mit klugen Texten, die von Humor und, trotz ihrer Ernsthaftigkeit, einer gewissen Leichtigkeit geprägt sind. Rainer Katlewski
| WESTSEE Die Welt bremst (Fuego)
Mike Pelzer gehört zu den Künstlern, die sich so manches trauen. Ob an der Seite von Markus Maria Jansen bei M. Walking On The Water, als Solokünstler, mit Basta Fou oder unter dem Namen Westsee, jede neue Veröffentlichung sprengt die Erwartungen und geht neue Wege. So beginnt das neue Album mit einem gekonnten Diebstahl vom Buena Vista Social Club. Auf dem zweiten Track covert Pelzer sich dann gleich selbst. Einer der größten Ohrwürmer von M. Walking On The Water wird mit neuem, nun deutschem Text leicht angefolkt und mit viel Druck zum Soundtrack des Jahres 2020. Pelzer, der tief im Theater verwurzelt ist, klingt immer ein wenig nach Zirkus, nach absurdem Schauspiel und nach Chanson. Der von ihm wesentlich mitgestaltete Sound deutscher Indiebands der Achtziger ist weiterhin Erkennungsmerkmal, auch das Markenzeichen Akkordeon nach wie vor präsent. Die deutschen Texte erschweren das Hörerlebnis. Natürlich erwartet man von einem Künstler wie Pelzer Tiefgründiges oder wenigstens Avantgardistisches. Doch statt „Party In The Cemetery“ gibt es „Wie weit musste ich gehen, um dich wiederzusehen“. Einfache Worte, klare Botschaften, Pelzer traut sich selbst das. Chris Elstrodt
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