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GEDANKEN UND LIEDER ZUR WELT

MANFRED MAURENBRECHER
Inneres Ausland
(Reptiphon), mit Texten


„… und aus dem Chaos, da wird ein Chor.“ Wenn eine Gruppe höchst unterschiedlicher und sich nicht nur wohlgesinnter Individuen zum gemeinsamen Gesang vereinen, dann entsteht etwas Neues, das alle ergreift. Die aktuelle Produktion mit einem Chor zu machen, ist für Manfred Maurenbrecher etwas Neues, und dieser Plan begleitet ihn auf seiner Reise in das innere und auch äußere Ausland. Vom Dunkel in seinem Inneren geht die Tour über Brandenburg bis nach Thassos und an die Ufer des Pruth und in die ferne Zukunft. Beobachtungen, Aufgeschnapptes, Persönliches und Politisches, Gedanken und Erträumtes, zu vielem hat er sich Gedanken gemacht und Lieder geschrieben. Es liegt eine gewisse Endzeitstimmung  MANFRED MAURENBRECHER: Inneres Ausland über einigen Songs, eine Hoffnung oder Erwartung hin auf die ganz große Veränderung, auf der anderen Seite finden sich darin ganz viel Alltag und kleine Geschichten. In mehreren Liedern setzt er sich mit den Rechtstendenzen im Land auseinander, der Ausländerfeindlichkeit, den Neonazis. Die Überhöhung und Ausnutzung des Heimatbegriffs für Leute, die sonst nichts haben. Fremde, gestrandete Menschen am Strand werden nur noch als Puppen wahrgenommen, als potenzielle Lohndrücker, als Teil eines inszenierten gigantischen Bevölkerungsaustausches. Und anschließend besingt er im nächsten Lied die Empfindungen eines Rucksacktouristen auf einer Fähre in Griechenland, und darauf folgt ein Text aus dem 19. Jahrhundert von Nikolaus Lenau. Diese Sprünge, dieser Mix, diese Wechsel machen den Reiz des 26. Soloalbums aus. Diese Vielfalt spiegelt sich auch musikalisch. Einzeln am Klavier, mit Band und mit Chor, erhält jeder Song seinen eigenen Charakter. Es erfordert aber auch, dass man sich als Hörer einlässt auf diese Wechsel, konzentrierter zuhört und vielleicht auch ins Booklet schaut. Kurz vor seinem runden Geburtstag hat der Schriftsteller und Liedermacher wieder ein interessantes und hörenswertes Album herausgebracht. Zu beidem an dieser Stelle: Herzlichen Glückwunsch!
Rainer Katlewski

NEUE HORIZONTE

AMSTERDAM KLEZMER BAND
Fortuna
(Vetnasj Records)


1996 sammelte Job Chajes (voc, sax) eine Handvoll engagierter Musiker um sich, die – allesamt Klezmer- und Balkan-erfahren – schließlich als Septett die Amsterdam Klezmer Band (AKB) bildeten, um Straßenmusik, in diesem Fall traditionelle jiddische Partymusik, von der Straße auf die Bühne zu bringen. Das war vor 24 Jahren, wobei nun mit Fortuna neben Chajes die altbewährten Musiker Jasper de Beer (bass, banjo), Alec Kopyt (voc, perc), Gijs Levelt (tr), Joop van der Linden (tromb, perc), Janfie van Strien (cl) sowie Theo van Tol (acc) – Letzterer für die Aufnahmen ersetzt durch Ellen van Vliet – ihr nun 16. Album vorlegen  AMSTERDAM KLEZMER BAND: Fortuna können. Wie bereits in der Vergangenheit sind auch alle 18 Stücke hier live im Studio eingespielt worden. Nach einem knappen Vierteljahrhundert gemeinsamen Musizierens muss nicht mehr alles dem entsprechen, was Klezmerpuristen als „typisch“ bezeichnen. AKB waren immer auf der Suche nach neuen Horizonten, einer musikalischen Weiterentwicklung, ohne sich jedoch vom Geist der jiddischen Partymusik und vom Klezmer zu entfernen. So werden Einflüsse nicht nur aus dem Jazz aufgegriffen, auch Balkanmusik im 9/8-Takt wie in „Gysgewys“ ergänzen eher Konventionelles wie „Tanz Tanz Tanz“, „Mommy’s out“, „Trach i Bach“ oder das wunderbare „Geheim in de Pijp“. Zum ersten Mal hatten AKB einen Produzenten, namentlich Stefan Schmid, für ein Album eingeladen; ein glatter Bruch in der Geschichte des Ensembles und ein großer Schritt aus seiner Wohlfühlzone heraus. Schmid stellte den Musikern die Aufgabe, jeweils ein Stück für ein anderes Bandmitglied ins Studio mitzubringen. Die Musiker sollten sich musikalisch-spielerisch miteinander auseinandersetzen, womit eigentlich ein neues Kapitel in der langen Geschichte der AKB eröffnet wurde.
Matti Goldschmidt

ALLES EASY

MAPACHE
From Liberty Street
(Yep Roc Records)


Wie immer in der über zwanzigjährigen Geschichte des Americana-Labels aus North Carolina ist auch beim Neuzugang Mapache (span. „Waschbär“!) solides Handwerk, kombiniert mit einer gewaltigen Portion Extravaganz angesagt. Clay Finch und Sam Blasucci sind ein Duo aus Los Angeles, das sich dem von eng umschlungenen Gitarren begleiteten dicht gewebten Harmoniegesang hingibt, wie man es in der Perfektion schon lang nicht mehr gehört hat. Seit Loggins & Messina vielleicht, seit Seals & Crofts, seit Bread und der Uncle Walt’s Band. Aufgenommen wurde die kalifornische Melange zu Hause bei den Jungs in der Liberty Street (Albumtitel!) im hippen L.-A.-Stadtteil Echo Park. Die Basis ist  MAPACHE: From Liberty Street Lagerfeuersongwriterfolk. Der wird variiert, freilich aber ohne je in den Verdacht zu geraten, nach 1974 eingespielt worden zu sein. „Liberty Street Blues“ und „See Through“ erinnern an den letzten Urlaub auf Hawaii. Der „Cowboy“ reitet authentisch durch die Prärie, und auch der Abschluss „I Just Steal Away And Pray“ ist mehr Western als Country. Dazwischen erklingen Bolerorhythmen und spanischer Gesang bei „Me Da Muerte“ und „Igual“. „Auf Spanisch zu schreiben und zu singen, spiegelt einfach das Leben, die Kultur und Musik in unserer Nachbarschaft wider“, erklärt Finch, der nach seiner Schulzeit zwei Jahre in Mexiko lebte. Wobei sowohl er als auch die Credits auf dem Cover unterschlagen, dass „Me Voy Pa’l Pueblo“ das Cover eines Uraltsongs der kubanischen Folkdiva Mercedes Valdez ist, vom Trio Los Panchos schon in den Vierzigern zum Hit geträllert. Aber wir wollen nicht kleinlich sein. Vierzehnmal gibt es hier versponnen-verträumten West Coast Folk Rock, begleitet manchmal von sanfter Percussion und stiller Pedal Steel. Produzent Don Horne legt auch mal selbst Hand an, ohne vom Grundtenor abzulenken und Gästen wie Sara Watkins an der zurückhaltenden Fiddle oder Farmer Dave Scher von Beachwood Sparks an der weichen Melodica das Leben schwer zu machen. Alles easy.
Martin Wimmer

TROST, MUT UND ZUVERSICHT

AYNUR
Hedûr/Solace Of Time
(Dreyer Gaido), mit kurd. Texten u. Infos sowie türk. u. engl. Übersetzungen


TROST, MUT UND ZUVERSICHT

DIMA ORSHO
Hidwa. Lullabies For Troubled Times
(Dreyer Gaido), mit arab., aserbaidsch. u. span. Texten samt engl. Übersetzung sowie engl. u. dt. Infos


Aynur ist eine Pionierin der kurdischen Musik. Sie war die erste, die in einem türkischen Film (Gönül Yarası von Yavuz Turgul, 2005) live kurdische Musik singen durfte. Damals, in einem schmalen Zeitfenster Anfang des neuen Jahrtausends, sah es so aus, als ob die Unterdrückung der kurdischen Kultur in der Türkei allmählich zugunsten eines liberaleren Kurses aufgegeben werden würde. Doch der Wind drehte sich wieder, und so verließ Aynur vor rund zehn Jahren ihre Heimat, weil Nationalisten sie bei einem Festival beschimpft und mit Sitzkissen beworfen hatten. Die Sängerin legt seit 2002 Alben vor; viel beachtet waren beispielsweise Keçe Kurdan (2004) und Hawniyat (eingespielt  AYNUR: Hedûr/Solace Of Time  DIMA ORSHO: Hidwa. Lullabies For Troubled Times 2015, veröffentlicht 2017, unter anderem mit Kayhan Kalhor an der Kamantsche). Deutschen Musikliebhabern ist Aynur aber wohl eher durch ihren Auftritt in Fatih Akıns Film Crossing The Bridge oder ihre Zusammenarbeit mit Yo-Yo Ma und dessen Silk Road Ensemble bekannt. Nun präsentiert sie mit Hedûr ein Album, dessen schwer übersetzbarer Titel musikalisch und textlich die Richtung vorgibt. Es geht um Trost und gleichzeitig das Einssein von Selbst und Kosmos. Aynur zeichnet diesmal auch für Teile der Kompositionen und Arrangements verantwortlich und spielt erstmalig Tembur. Handwerklich ist das Ganze hervorragend umgesetzt. Aynur gibt alles, die Instrumentierung ist abwechslungsreich, insbesondere das Istanbul Strings Quartet sorgt für wohlige Wärme im Herzen. 
Ebenfalls von Yo-Yo Mas Silk Road Ensemble her könnte man Dima Orsho kennen, denn sie hatte auf dessen CD Sing Me Home (2016) einen Gastauftritt. Auch Orsho spielte ein Album ein, in dem es um Trost geht. Auf Hidwa singt die in (Opern-)Gesang, Klavier und Klarinette ausgebildete Syrerin Schlaflieder unterschiedlicher Provenienz, die Mut und Zuversicht geben sollen. Ihre Stimme ist zum Niederknien schön, und die Mitmusiker überzeugen durch unaufdringliche Virtuosität und Feingefühl.
Ines Körver

SO IST DAS

JOHN MCLAUGHLIN, SHANKAR MAHADEVAN, ZAKIR HUSSAIN
Is That So?
(Abstract Logix), mit engl. Infos u. Texten


Vermutlich hat sich bis heute niemand als westlicher Musiker in so profunder Weise mit der Musik des indischen Subkontinents auseinandergesetzt wie der britische Jazzgitarrist John McLaughlin. Wer den jungen McLaughlin Anfang der Siebzigerjahre solo auf der akustischen Gitarre erlebt hat, staunte bereits, neben der unglaublichen Virtuosität, über die starken Anleihen an südindisches Veena-Spiel, was Phrasierung und melodische Komplexität angeht. Als er Mitte der Siebziger das Ensemble Shakti gründete, war die Symbiose perfekt. Mittlerweile 78-jährig, setzt er seiner lebenslangen Tätigkeit ein weiteres Glanzlicht auf. Schon lange beschäftigte ihn der Gedanke, die grundtonbasierte Melodik  JOHN MCLAUGHLIN, SHANKAR MAHADEVAN, ZAKIR HUSSAIN: Is That So? indischer Musik zu harmonisieren. Aus erstem Herumexperimentieren mit dem Sänger Shankar Mahadevan, der McLaughlin seit Anfang 2000 auf Tourneen mit dem Remember Shakti Projekt in Indien begleitet, entstand nun ein ganzes Album. Als Grundlage wählten die Musiker zum Teil Bhajans, einfache Volkslieder, die der religiösen Verehrung dienen. McLaughlin fügt diesen Liedern sein harmonisches Verständnis und Empfinden hinzu, und es entsteht etwas, das man in dieser Form tatsächlich noch nicht gehört hat, eine der kostbarsten Stimmen Indiens im freien Flug durch eine multidimensionale Klangwelt westlicher Prägung. Dazu waren sechs Jahre des Suchens, Verwerfens und Findens nötig, denn es gab keinerlei Vorbild. Erstaunlicherweise ist die Gitarre in allen Aufnahmen sehr dezent, was vermutlich daran liegt, dass McLaughlin meist einen Gitarrensynthie mit warmer, nahezu vokaler Tonerzeugung benutzt. Tablalegende Zakir Hussain ist wie immer so viel mehr als nur der Mann an den Trommeln. Er „spricht“ mit den Fingern, und selbst komplizierteste rhythmische Gestalten scheint er leicht und wie nebenher aus dem Ärmel zu schütteln. Dieser mehr als geglückte Versuch, weit voneinander entfernte klangliche Welten zu verschmelzen, ist von vollendeter Schönheit.
Rolf Beydemüller