Tonträger, Bücher, DVDs, Filme, Plattenprojekte und besondere Empfehlungen der Folker-Redaktion.
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CHE APALACHE Rearrange My Heart (Free Dirt Records), mit engl. Texten
Wenn Banjolegende Bela Fleck als Produzent Hand anlegt, dann kann nur Ungewöhnliches dabei herauskommen. Diese Fusion aus Latin und Americana hat es in sich. Mit dem Instrumentarium der Bluegrass Music werden hier eine dem Tango ähnliche uruguayische Murga, spanische Sephardenmusik oder Flamencoanleihen eingebracht. Die Musiker kommen aus den USA, Argentinien und Mexiko, gesungen wird spanisch und englisch. Natürlich ist auch Bluegrass dabei oder der A-cappella-Gesang des Mountain Gospels. Auch den tollen Satzgesang der Stanley Brothers hat das Quartett drauf. Aber es kommen immer neue Elemente hinzu. Fiddler und Bandleader Joe Troop versteigt sich mal in jazzigen Swing, es wird auch mal in einen Blues verfallen, manche Stücke glänzen mit verschiedenen Sätzen und Tempi, oder man leistet sich eine Kakofonie in einer Ballade. Und hier spielen Menschen zusammen, die man in den USA möglichst auseinanderdividieren will. Da überrascht nicht, dass die Themen der Songs von Immigration bis hin zu religiösem Fanatismus gehen. Che Apalache ist ein Beispiel für die ungeheure Experimentierfreude in der eigentlich traditionell verwurzelten Newgrassszene Amerikas. Hans-Jürgen Lenhart
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THE BALLROOM THIEVES Unlovely (Nettwerk Music)
Das Trio aus Boston spielt sich in seinen komplex arrangierten Protestsongs seinen Frust über ein Amerika ab, in dem der Präsident Klientelpolitik macht, statt für alle Amerikaner da zu sein. Lieder zwischen Verzweiflung und Hoffnung und über problematische Beziehungen und Liebe. Das sind jede Menge Kontraste, die sich auch in einem Wechsel von männlichen und weiblichen Stimmen widerspiegeln sowie den Stilelementen einzelner Songs zwischen altem Soul, Folk, süßlichem Backgroundchor, Country und Heavy Metal, Kontraste, die die Stücke überraschend und abwechslungsreich machen und Genregrenzen ignorieren. Die ungewohnten Arrangements sind zwar interessant, verhindern aber manchmal auch, dass die Kompositionen genug erkennbares Profil haben und man wirklich davon berührt wird. Insofern überzeugen die einfachsten Songs am ehesten, das leichtfüßige „Love Is Easy“, das dahinschwebende „For Hitchens“ oder das nur mit einem gezupften Cello untermalte „Pendulum“. Das hat eine leise und für die Gruppe schon wieder ungewohnte Atmosphäre. Hans-Jürgen Lenhart
| MARLA GLEN Unexpected (Mohr Publishing)
Unerwartet erschien in den frühen Neunzigern eine Sängerin auf den europäischen Festivals, die bald vom Geheimtipp zum gefeierten Star wurde. Marla Glen ist mit einer rauen, tiefen Stimme gesegnet, mit der sie alles zwischen Soul, Gospel, Blues und Jazz interpretiert. Ihre Konzerte waren schon immer ein Fest, sowohl für das Publikum, welches erstklassige Musik mit einer lebhaften und authentischen Sängerin erleben konnte, als auch für Marla Glen selbst, die sichtbar Inbrunst in ihre Songs legt. Es folgten zwei sehr erfolgreiche Plattenveröffentlichungen, und dann – lange Jahre nichts bzw. kaum mehr etwas. Umso unerwarteter kommt nun dieser Paukenschlag. Die Stimme ist nochmals etwas nachgedunkelt. Das musikalische Repertoire gründet nach wie vor in Blues und Jazz, dieser ist immer in jedem Timbre vorhanden, und damit lotet sie alles aus, was die populäre Musik so zu bieten hat. Vom kernigen Countryblues über Bluegrass, 1970er-Soul und Funk weiter zu Disco und Dancefloor, auch ein Folksong und eine Gospelballade werden geboten. Egal, ob man den Sologesang, instrumentale Begleitung, Arrangement, Komposition, Interpretation bewertet – diese Platte ist eine musikalische Offenbarung. Achim Hennes
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THE GOTHIC COWBOY & MANDO DAN Between The Wars (Eigenverlag)
Die Songs von Melvin „Gothic Cowboy“ Litton wirken wie Auszüge aus dicken Büchern, in denen biblische Themen verhandelt werden. Tatsächlich ist Litton nicht nur Songschreiber, sondern auch Dichter, der mehrere Romane und Gedichtbände veröffentlicht hat. Die Musik ist darüber hinaus eine Konstante in seinem Leben, und tatsächlich gibt es wohl Geschichten, die sich besser zu Musik als in einem Buch erzählen lassen. Auf dem Doppelalbum Between The Wars erzählt Litton hauptsächlich Geschichten aus der Vergangenheit, aus einer Welt, in der Armut und Fatalismus eine Art natürlicher Lebenszustand waren, der vor allem zwischen den Kriegen bestand, die häufig über die Menschen hereinbrachen. Country, Folk und Blues sind die Stile, derer sich Litton bedient, um seine seelenschweren Geschichten zu erzählen. Im Schlepptau hat er Mando Dan, der mit seiner Mandoline den geradlinigen Songs die kleinen, doch aufreizenden Schnörkel verleiht, die sie brauchen, um unterscheidbar zu sein. Obwohl immer dunkle Wolken am Songschreiberhimmel von Litton hängen, strahlt die Musik trotzdem etwas Tröstliches aus und ist nicht ausschließlich fatalistisch. Michael Freerix
| HELLO EMERSON How To Cook Everything (K&F Records), mit engl. Texten
Wenn ein Album nach einem Kochbuch benannt ist, scheint es logisch, dass die Songtexte im Booklet fast wie Rezepte zu lesen sind. Über den Instrumentierungen steht „Zutaten“, und selbst Tonart und Tempo eines Stücks sind genau notiert. Das passt zum schrägen Humor der Band aus Columbus, Ohio, der immer wieder durchscheint. Etwa in „We Lost“, das sich über eine beim Fußball gebrochene Nase auslässt und die Frage aufwirft, ob das Gesicht nun besser aussieht. Musikalisch besitzt der Song den Skurrilitätsfaktor der Marke They Might Be Giants. Häufig mögen es die US-Amerikaner groß und üppig, ohne dass die Musik schwer im Magen liegen bleibt. Der Opener „The Last Dinner“ (!) beispielsweise beginnt sehr still, schwingt sich dann aber dank großzügigen Bläsereinsatzes in schwindelnde Höhen auf. Und am anderen Ende des Albums, das mit „Seat 16b“ schließt, mobilisiert die Band um ihren 25-jährigen Songschreiber Sam Bodary einen 30-köpfigen Chor in der hymnisch gesungenen Zeile „There’s a first time for everything“. Zwischen Folk, Country und Jazz liefern die Jungs zudem den perfekten modernen Liebesbeweis: „I bought a real alarm clock so you know I want you more than I want my phone.“ Volker Dick
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JUDE JOHNSTONE Living Room (BoJak Records)
Bonnie Raitt, Emmylou Harris, Bette Midler haben ihre Lieder gesungen. Für Trisha Yearwood schrieb sie einen Nummer-eins-Hit genauso wie für das gleichnamige Album von Johnny Cash „Unchained“. Dennoch ist die Pianistin ein Geheimtipp geblieben. Auch ihr achtes Album soll sie nicht in die Charts katapultieren. Bewusst hat sie sich für eine intime Wohnzimmeratmosphäre entschieden, in der ihre Beziehungslieder perfekt zur Geltung kommen. Das Piano ist nie aufdringlich, keine Fingerfertigkeit wird ausgestellt, das Spiel bleibt immer im Dienst der introvertierten Stimmung. Cello, Pedal Steel, Akkordeon im Hintergrund, eine Posaune setzt sanft-jazzige Akzente. Einzig die gelegentliche Penny Whistle weckt ein etwas überraschendes Gutes-altes-Irland-Gefühl. Dreimal gibt Johnstone das Mikro aus der Hand, dann übernehmen Hunter Nelson, Brandon Jesse und Ben Glover. Als hätten Jimmy Webb und Carole King sich zusammengesetzt, um ein paar Klassiker für das Great American Songbook zu ergänzen. Üppig ausgestattet mit Hochglanzbooklet und Texten, ist Living Room das perfekte Accessoire für gediegene Wohnzimmer mit Kaminfeuer. Martin Wimmer
| MÉLISANDE [ÉLECTROTRAD] Les Myriades (Borealis Records), mit Texten, engl. u. franz. Infos
Die Optik ist glatt und futuristisch. Und der Sound? Dance, Beats, Techno, Bass, programmierte Maschinenmusik. Okay, kann man machen, aber was hat das in dieser Zeitschrift zu suchen? Jede Menge, und zwar aus diversen Gründen. Das Kernduo von Mélisande [Electrotrad] ist ein Ehepaar, er der Sohn der Montrealer Folklegende Gilles Garand, sie eine anerkannte traditionelle Sängerin. Begleitet werden beide von dem Synthieprogrammierer Gabriel Ethier und dem Fiddler und Banjospieler David Boulanger. Die Lieder sind nicht nur allesamt traditionell, sie wurden vom Ehepaar Alexandre de Grosbois-Garand/Mélisande Gélinas-Fauteux persönlich von älteren traditionellen Sängern aufgenommen, Feldforschung par excellence. Herausgekommen ist ein überaus reizender Bastard. Die Musik wäre bei wilden Rave Partys morgens um drei problemlos tanzbar, aber die Melodien und Songstrukturen sind trotzdem deutlich hörbar traditionell bis in die kleinen Details der Fußpercussion. Das ist Album Nummer drei dieses Duos, das mit dieser Musik von Rudolstadt bis Ibiza oder Goa die Menschen zum Tanzen bringen könnte. Das können nicht viele Künstler von sich behaupten. Mike Kamp
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BILL RANDEN The Later Tapes Vol. 1 Antiquities (Eigenverlag)
Randen ist in der Singer/Songwriter-Szene von Austin, Texas beheimatet. In den vergangenen Jahren hat er viele andere Musiker aus dieser Szene in seinem Studio produziert und sein eigenes Schaffen etwas vernachlässigt. Nach sieben Jahren kommt nun ein eigenes Album auf den Markt, das Randen konsequent im Alleingang eingespielt hat. Das ist allerdings kein Mangel, flüssig und durchdacht kommen die Songs daher. Da merkt man die Professionalität dieser Musikerpersönlichkeit. Beim ersten Hören wirken seine Songs sehr dicht, manchmal zu dicht an seinen Vorbildern Bob Dylan und Tom Petty orientiert. Erst nach mehrfachem Hören entwickelt sich die tragisch-epische Atmosphäre dieser an kalte Steppenlandschaften erinnernden Musik voll. Orchestral wirkt dieses häufig von der zwölfsaitigen Gitarre dominierte Album, dessen Klang ausschließlich auf akustische Gitarren, Gesang und Mundharmonika setzt, in das sich manchmal ein Harmonium einschleicht. Angenehm altmodisch mutet das alles an, wie ein verlorener Schatz aus den Sechzigerjahren. Die Songs handeln hauptsächlich von Verlust und unerfüllten Gefühlen, von zwischenmenschlichen Unwägbarkeiten, die Randen auf dichte, doch auch karge Art und Weise zu erzählen weiß. Michael Freerix
| THE YEHLA COLLECTIVE Steel Strings And Iron Curtains (Plamen Press), mit engl. Texten u. Infos
Der Kommunismus war ein fruchtbarer Boden für politische Lieder mit einer außerordentlichen poetischen Strahlkraft. Nicht nur in der DDR, auch in der Tschechoslowakei gab es zahlreiche herausragende verfolgte und bis heute verehrte Liedermacher, allen voran der bereits verstorbene Karel Kryl und Jaromir Nohavica. Ihre Protestlieder wurden nicht nur zur Stimme des Widerstandes gegen das diktatorische Regime, sie trugen letztlich zum Fall des Eisernen Vorhangs bei. Im Westen sind diese tschechischen Dichter an der Gitarre jedoch nur wenigen bekannt. Das möchte der in Washington, D. C., ansässige Verlag Plamen Press mit einem ungewöhnlichen Projekt ändern. Die Organisation ist spezialisiert auf die Verbreitung osteuropäischer Kultur im englischsprachigen Raum. Anlässlich des dreißigsten Jahrestags der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei präsentiert der Verlag erstmals zehn bedeutende Protestsongs der beiden tschechischen Liedermacher in Englisch. Dafür wurde eigens ein achtköpfiges Ensemble aus in den USA lebenden amerikanischen, tschechischen, slowakischen und armenischen Musikern zusammengestellt. Die hervorragenden Arrangements und Übersetzungen geben einen sehr guten Einblick in das lyrische und musikalische Talent von Kryl und Nohavica. Erik Prochnow
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Sergio Mendes In The Key Of Joy (Concord)
Sergio Mendes, der kommerziell erfolgreichste brasilianische Musiker, feiert dieses Jahr sein sechzigjähriges Bühnenjubiläum. Seine Verbindung von brasilianischer mit amerikanischer Musik und modernen Stilrichtungen sowie die Einbindung angesagter Stars aus ganz Amerika haben ihn fast immer auf der Erfolgswelle schwimmen lassen. Nicht verzichten will Mendes nach wie vor auf die etwas abgenutzte Verbindung Samba und Rap. Aber er macht mehr daraus als eine modische Zugabe für jüngere Konsumenten. Auch beim Einsatz des kolumbianischen Duos Cali y El Dandee bekommt Mendes selbst den kommerziellen Reggaeton einigermaßen akzeptabel hin. Trotz mancher Anbiederung finden sich auf jedem Mendes-Album Titel, die so gut sind, dass man das erst mal hinkriegen muss. Wenn man von brasilianischer Musik hohe Energie und Tanzbarkeit erwartet, dann ist man hier richtig. „Muganga“ hat genau das, knackige Percussion vermischt mit funkigen Bläsern und dem typischen Brasil-66-Satzgesang. Den besten Titel aber liefert der brasilianische Akustikgitarrist Guinga. Sein „Tangara“ ist ein luftiges Tanzen auf den Saiten, ein Hauchen, ein summendes Singen, gefühlvoll und rhythmisch zugleich. Demnächst erscheint auch ein Film zu Mendes. Hans-Jürgen Lenhart
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JOHN CAMPBELL MUNRO The Kelly Collection (Greentrax Recordings), mit ausführlichen engl. Infos
Der in Schottland geborene John Campbell Munro war in Europa in erster Linie als der treue Begleiter von Eric Bogle bekannt. In seiner adoptierten Heimat Australien tourte er auch solo oder mit seiner Band Colcannon, bevor er 2018 viel zu früh seinen langen Kampf gegen den Krebs verlor. Dieses Album wurde wenige Monate vor seinem erwarteten Tod aufgenommen und ist ein Herzenswunschprojekt unter Mithilfe einer langen Liste an Freunden, nicht zuletzt Bogle selbst. Alle Munro-Songs drehen sich um den berühmt-berüchtigten Australier Ned Kelly. War er ein Robin Hood, ein Jesse James oder schlicht ein Krimineller? Die Meinungen gehen auseinander, und John Munro hält sich mit einer Wertung mehr oder weniger zurück, obwohl eine gewisse Sympathie unüberhörbar ist. Er nimmt Episoden aus Kellys kurzem Leben (1855-1880) und packt sie in folkpoppige Musik, singt selber oder überlässt den Job einige Freunden. Das alles ist sehr stimmig und bringt uns Europäern ein wichtiges Stück australischer Vergangenheit nachvollziehbar näher. RIP, John Campbell Munro. Mike Kamp
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