Tonträger, Bücher, DVDs, Filme, Plattenprojekte und besondere Empfehlungen der Folker-Redaktion.
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Fontane als Songwriter
| REINHARDT REPKES CLUB DER TOTEN DICHTER So und nicht anders – Theodor Fontane neu vertont (Argon Verlag), mit Texten
Ende des Jahres jährt sich zum zweihundertsten Mal die Geburt eines Apothekersohns aus dem brandenburgischen Neuruppin, der zu einem der bedeutendsten Dichter und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts in Preußen und Deutschland avancierte. Theodor Fontane, der einer Hugenottenfamilie entstammte, wurde zunächst ebenfalls Apotheker, verlegte sich aber früh aufs Schreiben. Er arbeitete als Journalist, Kriegsberichterstatter, schrieb Reiseberichte, später auch Romane und immer wieder Gedichte. Dieser hat sich Reinhardt Repke angenommen, einige vertont und damit in eine völlig neue, ungewohnte Form gebracht. Mit seiner Formation Club der toten Dichter, die in unterschiedlicher Besetzung schon mehrere, sehr verschiedene Dichter wie Busch, Rilke oder Bukowski auf die Bühne gebracht haben, geben sie jetzt passend zum Fontane-Jahr, Bekanntes und weniger Bekanntes zu Gehör. Ebenso wie beim Rilke-Programm ist „Rainbird“ Katharina Franke die Sängerin, die mit ihrer markanten Stimme prägend auf dem Album ist. Sie bringen vor allem Gedichte Fontanes später, gereifter Jahre und beginnen mit einem Altersresümee. Obwohl sein Leben auch viele Tiefen kannte, hätte er alles noch einmal so gemacht, betonte er seine Unabhängigkeit. Der Club stimmt uns mit einfühlsamem und nachdenklichem Gesang, vom Akkordeon nachhaltig unterstützt, atmosphärisch ein. Sie haben einige Gedichte mit seinen Lebenseinsichten im Programm, er war offenbar kein Kämpfer. Interessant auch die Interpretationen der schon aus Schulzeiten bekannten Gedichte „Herr von Ribbeck …“ und „John Maynard“. Sie unterteilen die Gedichte und interpretieren die einzelnen Abschnitte dem unterschiedlichen Charakter und Rhythmus folgend stilistisch sehr verschieden. So hatte man die Gedichte bisher nicht wahrgenommen. Das ganze Programm ist eine Entdeckung (wert) und eine gute Einstimmung auf das Jubiläumsjahr, ja, man möchte sowohl vom betagten Autor als auch vom Club eigentlich gleich noch weiteres lesen bzw. hören. Rainer Katlewski
| Übersinnliche Kommunikation
| THE GLOAMING The Gloaming 3 (Real World Music)
Die dritte Veröffentlichung des Art-Irish-Trad-Meditations-Crossover-Quintetts. Oder welche stilistische Beschreibung soll dieser Band gerecht werden? Extrem vielschichtig sind die musikalisch-künstlerischen Einflüsse, die hier zwischen Minimalismus und orchestraler Wirkung hörbar werden. Was für eine Kommunikation der Musiker untereinander: So sind nur drei der fünf Iren in der Tradition verwurzelt. Tom Bartlett, der amerikanische Pianist muss die aus alten Sammlungen entlehnten Texte (zu schweren Lebensthemen) des Sängers Iarla Ó Lionáird ohne Kenntnis der gälischen Sprache in seine moderne Melodik und Harmonik umsetzen. Geiger Martin Hayes und Gitarrist Denis Cahill sind in ihrer Kommunikation im übersinnlichen Bereich angekommen – beide folgen dem Weg des anderen ohne Worte und gestalten den Moment oft spontan. Caoimhín Ó Raghallaigh (Viola d’Amore – eine fünfsaitige Geige mit Resonanzsaiten) interessierte sich immer schon für die Abgründe hinter den Tönen und sezierte seine Musik, die er vielfach den alten Ikonen der Vergangenheit abgehört hat, psychologisch in erheblichem Ausmaß. So treffen hier fünf Meister ihres Fachs aufeinander und zeigen, was Eklektizismus wirklich bedeutet: den Transfer von der einen Kunstform in eine andere und das Entstehen von etwas ganz Neuem. Mit Drama, Dynamik und Variation innerhalb der Traditionals hat Martin Hayes die gesamte Irish-Trad-Szene schon früh konfrontiert, Momente, die der irischen Musik ursprünglich fremd waren. In The Gloaming wird all dies zusammengeführt, mit eher aus der Pop-/Indie-Musik und dem Jazz entlehnten Elementen. Dies gelingt diesmal noch vollkommener als auf den bisherigen Alben. Das Gegenüberstellen von Hayes’ Fiddle – die, ob auf Volldampf oder im meditativen Modus immer eine gewisse Zerbrechlichkeit zeigt – und der zupackenden, sehr groove-prononcierten Spielweise von Ó Raghallaigh ist für sich schon ein Ohrenschmaus. Gloaming 3 ist für Liebhaber von feinsinniger irischer Musik und audiophilem Hörgenuss. Johannes Schiefner
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Ein neues, weibliches Selbstbewusstsein
| RHIANNON GIDDENS, AMYTHYST KIAH, LEYLA McCALLA, ALLISON RUSSELL Songs Of Our Native Daughters (Smithsonian Folkways Recordings), mit engl. Texten u. Infos
Afroamerikanische Frauen werden seit Jahrhunderten unterdrückt und sexuell ausgebeutet. Gleichzeitig waren es oft schwarze Frauen, die soziale Bewegungen anstießen, weil sie am wenigsten zu verlieren hatten. Die meisten dieser Frauen findet man in keinem Geschichtsbuch. Sie zu würdigen und mit der heutigen Situation des Rassismus in den USA in Zusammenhang zu bringen, haben sich die vier Sängerinnen vorgenommen. Da mag es verwundern, dass sich auf dem Cover alle ausgerechnet mit einem Banjo ablichten lassen, dem Instrument, das man mit der weißen Bluegrass Music identifiziert. Doch das Banjo stammt eben ursprünglich aus Afrika. Die ersten Banjospieler waren schwarze Sklaven, mit deren Musik die unterschiedlichen Stammesangehörigen eine gemeinsame musikalische Basis fanden. Aus diesem Ansatz heraus komponierten die vier Songs, die die Geschichte farbiger Frauen von der Versklavung bis heute musikalisch abwechslungsreich erzählen. Da gibt es einen Gospel über eine Sklavin, die ihren Vergewaltiger absticht, ein Kinderlied, das die ersten schwarzen Schulen nach dem Ende der Sklaverei thematisiert, aber auch südafrikanische Klänge, Bluegrass-Musik oder einen Blues. Trotz der bedrückenden Themen wirkt die Musik immer lebensfroh. Das liegt auch mit daran, dass man eine Rhythmusgruppe dazugenommen hat. Es lohnt sich allerdings, das Booklet zu lesen. Gerade in den Intros zu den Songs wird starker Tobak angesprochen. So singt Allison Russell in „Quasheba, Quasheba“ über eine Sklavin, die mehrfach vergewaltigt und wiederverkauft wurde, der man ihre Kinder wegnahm und die dennoch die Kraft hatte, alles zu überleben und so zur Stammmutter von Russells Familie wurde. Russell schreibt, von ihrem weißen Adoptivvater sexuell missbraucht worden zu sein und dass sie dennoch glaubt, ihre Vorfahren mussten Schlimmeres erdulden. Insgesamt ein musikalisch überzeugendes und wegweisendes Album, das eigene Schicksale in den historischen Kontext stellt. Hans-Jürgen Lenhart
| Loslassen mit Cumbia Digital
| LA YEGROS Suelta (X-Ray Production)
Bleib locker und lass los – auf Spanisch heißt das „suelta“. Diese Empfehlung bringt die argentinische Sängerin La Yegros gleich im Opener mit ersten Takten wummernder Bassbeats ins Rollen. Wer sich jetzt auf die Tanzfläche stürzt, der kann getrost die ganz Scheibe durchlaufen lassen und sich von La Yegros und ihrem Produzenten King Coya in Trance versetzen lassen. Für alle zehn Stücke des Albums Suelta gilt, dass die tieftönenden Frequenzen hochgepegelt wurden. Für die Feinheiten, die das Album durchaus zu bieten hat, muss man die Ohren aufmachen und sich auf die mittleren Tonspuren konzentrieren. Und da tauchen volksmusiktypische Instrumente wie die andine Quena oder das Akkordeon auf. Großes Plus dieses Albums: La Yegros, die ja gemeinhin als die argentinische Queen der elektronischen Cumbia gilt, auch Cumbia Digital apostrophiert, erweitert ihr Rhythmus-Repertoire um die typischen Tänze des Nordostens Argentiniens, den rhythmisch komplexeren Chamamé oder den leicht melancholischen Huayno aus dem kulturellen Erbe der indigenen Bevölkerung. Nachdem die Cumbia, ein eher einfach gestrickter Paartanz im Viervierteltakt, die letzten Jahre Lateinamerika im Klammergriff hatte, scheint ihre Welle zum Glück abgeebbt. Der Track „Linda La Cumbia“ ist allerdings mit seinem Wechsel zwischen akustischem und elektronischem Setting ein Highlight von Suelta. Der Anspruch La Yegros’ ist gewaltig: Sie möchte die traditionellen Quellen und Urban Dance mit politischen Themen kreuzen, über die die argentinische Gesellschaft gerade heiß diskutiert. Dieser Spagat ist ihr ausgezeichnet gelungen. „Sube La Presión“ – „Der Druck erhöht sich“ – heißt ein sich dynamisch steigernder Track mit den Zeilen: „Ich sah den Schatten, den Reißzahn des Blutes, hungernde Kinder tanzen.“ Die Elektrosounds und die Tanzbarkeit kommen mit einer Message daher. Und mit der Stimme einer Frau, die sich in einer männerdominierten Gesellschaft durchsetzen wird. Da bin ich mir sicher! Cecilia Aguirre
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Zeitlose Poesie
| KRONOS QUARTET/MAHSA & MARJAN VAHDAT Placeless (Kirkelig Kurlturverksted), mit persischen Texten und englischen Übersetzungen
Zunächst ein paar Daten: 8 der 14 Gedichte, zu denen Mahsa Vahdat die Melodien geschrieben hat, stammen von zwei der bedeutendsten Vertreter persischer Dichtkunst, Rumi (1207-1273) und Hafez (1315-1390); von den restlichen sechs Gedichten stammen zwei von der Lyrikerin und Regisseurin Forough Farrokhzad (1934-1967) und vier von Mahsas Ehemann Atabak Elyasi, zwei davon in Kooperation mit dem Maler und Dichter Mohammad Ibrahim Jafari (1940-2018). Die Arrangements für Streichquartett schrieben die Komponistin Aftab Darvishi sowie ihre Kollegen Sahba Aminikia, Jacob Garchik und Atabak Elyasi. Die vokale Interpretation lag zur Hälfte bei Mahsa Vahdat, vier bei ihrer Schwester Marjan und drei bestritten beide gemeinsam. An den Instrumenten: das Kronos Quartet. Nun ist ein Gedicht eine eigenständige Kunstform, die nicht per se nach einer musikalischen Umsetzung schreit. Wer sich dennoch an diese Sisyphusarbeit macht, hat es mit formalen und inhaltlichen Problemen zu tun. Gerade bei – wie im vorliegenden Fall – Gedichten aus dem 13./14. Jahrhundert stellt sich die Frage nach der historischen Authentizität. Da ist es natürlich von Vorteil, wenn die eigene Musiktradition sich ohne allzu große Brüche vom Mittelalter in die Jetztzeit erhalten hat. So stehen die Melodien, in die Mahsa Vahdat sowohl die historischen als auch die zeitgenössischen Gedichte eingearbeitet hat, allesamt in der Tradition großer persischer Kunstmusik. Demgegenüber tragen die Arrangements für die „modernen“ Instrumente des Streichquartetts durchaus zeitgenössische Züge. Aus diesem Spannungsfeld heraus entstehen faszinierende Klanggemälde. Den kraftvollen Gesang der beiden Sängerinnen unterlegt das Kronos Quartet mit teils sirrenden, kratzigen, dann aber auch wieder mit konventionell „schön“ gespielten Passagen. „I don’t know who I am“ heißt es in der englischen Übersetzung eines Rumi-Gedichtes. Die Beteiligten an diesem grandiosen Album wussten hingegen genau, wer sie waren. Und vor allem, was sie zu tun hatten. Walter Bast
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