Tonträger, Bücher, DVDs, Filme, Plattenprojekte und besondere Empfehlungen der Folker-Redaktion.
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CAMILLA BARBARITO Sentimento Popolare (Felmay), mit Infos zur Herkunft der Lieder
Wer die Mailänderin nicht kennt, schaut sich am besten ihren Internetauftritt an. Die Frau hat viele Gesichter, macht experimentelles Theater, singt fast alles, von fast überall her – außer aus dem englischsprachigen Raum. Zum Auftakt dieser Mischung aus Chanson und Volksliedern fliegt die Sängerin ins Hochland von Ecuador, danach kehrt sie mit dem gefühlvollen „Anno Di Amore“ von Nino Ferrer nach Italien zurück. Im folgenden Rembetiko wird die Ruhe postwendend zum Sturm. Von da an wird klar, was dieses Album, neben der schillernden Frontfrau, so besonders macht. Es sind die Mitmusiker, allen voran der Gitarrist und Arrangeur Fabio Marconi. Dieser ersetzt die Bouzouki durch die Elektrogitarre und lässt sie in einem Gitarrengewitter explodieren, wie es sich selbst Rockmusiker kaum mehr getrauen. Darauf folgt das sentimentale „Retour À Napoli“ aus dem Repertoire von Nana Mouskouri. Stärker könnte der Kontrast kaum sein. Dieser wilde Ritt voller Stilwechsel und unterschiedlichster Gefühlswelten macht das Album so faszinierend. Eine gute Portion Rauheit hält das Werk zusammen. Anspieltipp: Der „Tango Negro“ von Juan Carlos Cáceres. Der heißt nicht nur Negro, da ist auch Afrika drin. Martin Steiner
| CHRISTOPH BÜRGIN 19:57 (Eigenverlag), mit schwyzerdt. u. standarddt. Texten u. Infos
Lieder in Schaffhauser Mundart. Für die Ohren des 600 Kilometer rheinabwärts lebenden Rezensenten hören sie sich zunächst einfach alemannisch oder schwyzerdütsch an: „Pack schnäll zäme, ich wett mit dir an See.“ Die erste Zeile des Albums führt zu einem Angelausflug auf den See, um sich vom alltäglichen Betongucken zu erholen. Wasser in Form von Seen, Flüssen, Regen und Meer kommt in vielen Liedern vor, wobei für letzteres die Schweiz verlassen wird, mal nach Italien, mal nach Irland. Das gilt auch für die bedienten Musikstile, die sich aus Rock und Pop, Jazz und Blues, italienischem und irischem Folk, deutscher Liedermacherei und englischem Singer/Songwriting bedienen und einen vollen Bandsound bilden. Ob Schlagzeug oder Klavier, Gitarre oder Kalimba, Uilleann Pipes oder Schweizer Sackpfeife, alles harmoniert miteinander, baut Spannungen auf, entspannt sich wieder und bildet so einen mal fröhlichen, mal dramatischen Klangteppich für die Geschichten, die Bürgin erzählt. Sie handeln unter anderem von einer „Schturmwaarnig“, vom Leben in einer „Chliischtadt“, von „Wolke und Schtäi“ in Irland oder historisch von der 1653 in Schaffhausen der Hexerei angeklagten „Anna Wirthin“. Ein großartiges Album! Michael A. Schmiedel
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KARAN CASEY Hieroglyphs That Tell The Tale (Vertical Records)
Karan Caseys erfrischende, unverwechselbare Stimme hat schon viele seit der Hochzeit von Solas begeistern können. Sie hat ein Faible in Richtung American Folk, Song und Blues, welchem sie hier ausgiebig huldigt, dabei immer mit aussagekräftigen Texten, nur ein Song ist tatsächlich so richtig Irish Trad! Es ist aber nicht Karan allein, die glücklich macht – eine unaufzählbare Schar an kongenialen irischen und schottischen Mitmusikern und Sängerfreundinnen wie Karen Matheson oder Pauline Scanlon lässt das Album zu einem einzigartigen Kleinod der traditionellen Musiklandschaft werden. Einen muss man ganz besonders loben: Capercaillies Donald Shaw, der neben seinem empathischen Pianospiel für die Produktion verantwortlich zeichnet. Nur ganz selten hörte man bisher eine solch perfekt geglückte Einbindung so unterschiedlicher Klänge wie Bläsersätze, Streichquartette, Schlagzeug (der subtile James McKintosh) und auch Ewen Vernals Bass in das Universum des Folkensembles. Der Mix, die Klangräume sind so maximal gut angelegt, dass eine Gänsehaut die andere jagt. Von fragil bis Wall-of-Sound (beim Paukenschlag-Dylan-Cover „Hollis Brown“) kommt der Zuhörer aus dem Staunen nicht heraus. Emotionaler und audiophiler Höchstgenuss! Johannes Schiefner
| KATIE DOHERTY AND THE NAVIGATORS And Then (Steeplejack Music/in-akustik), mit engl. Texten
Acht Minuten plus singt sie nette Lieder; gute Stimme, zurückhaltende Band (Melodeon, Fiddle), sie spielt Piano, nichts Außergewöhnliches. Dann kommt der Song „Navigator“ – und ändert die Atmosphäre grundlegend. Okay, dabei helfen auch ein paar Freunde wie die Broom Bezzums, aber es ist das Lied, das fesselt. Und Doherty zeigt erste Anzeichen von emotionaler Stimmakrobatik. Von nun an lässt sie zumindest den Rezensenten nicht mehr los. Die Dame aus Nordengland ist keine Newcomerin. Vor circa zehn Jahren sendete sie als Singer/Songwriterin erste vielversprechende Signale, arbeitete jedoch in der Folgezeit musikalisch fürs Theater. Nun ist sie zurück, und Katie Doherty überzeugt voll. Ganz gleich, ob sie private, beobachtende oder sozialkritische Themen anspricht, sie macht das mit packenden Songs und vor allem mit einem kraftvollen, emotionsgeladenen Gesang. Und die zwei Navigators lassen bei dem an Skandinavien/Balkan orientierten Instrumental „Polska“ so richtig Dampf ab, während Doherty im Hintergrund intensiv jubiliert. Ebenso, und doch ganz anders, wie beim grandiosen Finale „We Burn“. Katie Doherty ist eine definitive Bereicherung der akustischen Szene. Möge sie diese Bühne nun nie wieder verlassen. Mike Kamp
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HUBERT DORIGATTI Memphisto (Three Saints Records)
Schon die ersten gezupften Akkorde auf der Gitarre lassen aufhorchen. Spärlicher Einsatz von Percussion kommt hinzu, eine Blues Harp setzt ein. Dann beginnt Hubert Dorigatti mit seiner schönen runden und tiefen Stimme zu singen, und es besteht kein Zweifel, hier sind Könner und Liebhaber des ländlichen, akustischen Blues am Werk. „Inbrünstig“, so ist diese Musik in einem einfachen Wort zu beschreiben, und das gilt vom ersten Stück, vom ersten bis zum letzten Ton der CD. Nichts ist hier übertrieben, alles fern jeder Hektik oder Akrobatik. Hubert Dorigatti zieht sich zum Komponieren seiner Songs gerne in die Berge Südtirols zurück, vielleicht ist auch das ein Grund für die Ruhe und Lässigkeit seiner Musik. Wunderbar begleitet wird er von Laura Willeit, die auf den meisten Stücken die zweite Stimme singt. Ab und an noch etwas Harp (Fabrizio Poggi) und Percussion (Max Castlunger) – mehr braucht es wirklich nicht. Ganz groß wird Hubert Dorigatti dann, wenn er schildert, wie er als Junge den Klängen eines „Mr. Slowhand“ lauschte und ihn dessen Musik geradezu davontrug – darauf kann dann selbst besagter Eric Clapton mehr als stolz sein. Achim Hennes
| DOWDELIN Carnaval Odyssey (Underdog Records)
Das herzerfrischende Debüt des Trios aus Lyon macht definitiv Lust auf mehr. Sängerin Olivya singt im Kreol ihrer Heimat Martinique – gut gebettet, teils gar fröhlich-derb geschubst von diversesten Afro-Jazz-Elektro-Sounds und -rhythmen. Diese steuern zwei entsprechend vielseitig interessierte und patente, auch singende Multiinstrumentalisten bei: Produzent Dawatile, der zuvor nur mit englischsprachigen Sängern arbeitete, und Philibert. Er spielt wie sein Kollege Saxofon sowie E-Schlagzeug und Gwo Ka, eine ebenfalls auf den französischen Antillen, in Guadeloupe beheimatete Trommel. Dort liegen auch die Wurzeln dieses zuletzt hinzugekommen Musikers. Die drei, deren Miteinander von enormer einander befruchtender Kreativität und Originalität zeugt, lassen sich Gott sei Dank kaum bis gar nicht kategorisieren. Ihr afro-karibisch-antillisches und von vielem anderem gespeistes Hybrid aus R&B, Soul und Dancehall gibt schon eine sympathisch eigenwillige Perspektive des sogenannten „Afrofuturismus“-Labels. Die Band verwendet diesen seit den Neunzigern längst auch in der Musik kursierenden, kulturästhetischen Terminus, betrachtet ihren Soundclash gar als eine seiner neuen kreolischen Spielarten. Katrin Wilke
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MARTYN JOSEPH Here Come The Young (Beste! Unterhaltung), mit engl. Texten
Wäre man gezwungen, den walisischen Singer/Songwriter Joseph mit nur einem einzigen Begriff zu charakterisieren, das Wort müsste lauten „Intensität“. Alles ist bei Joseph intensiv, der Gesang, die Songs, die Themen, selbst die kraftvollen Arrangements, obwohl da Produzent und Multiinstrumentalist Gerry Diver ganz gewiss seinen Anteil dran hat. Album Nummer 22 und von Müdigkeit oder Resignation keine Spur. Ganz im Gegenteil, Josephs Songs strahlen einen ehrlichen Optimismus aus, der ebenso dringend notwendig wie schmerzend ist. Beispiel Titelsong: Woher nimmt er die Zuversicht, dass es die junge Generation richten wird? Klar, sie wird es müssen, wenn die Welt eine Chance haben soll, denn wir Alten haben die Karre nachhaltig in den Dreck gesetzt. Wie üblich scheut Joseph keine politischen Aussagen, aber auch auf privater Ebene findet er immer positive Ansätze. Die Autofahrt mit seiner Tochter in „Driving Her Back To London“ ist nicht mit väterlichem Trennungsschmerz verbunden, sondern eine Lektion in Sachen Akzeptanz und Liebe. Das ist der rote Faden, der sich durch alle elf politischen und privaten Lieder zieht: Liebe und Optimismus auf einem wie immer hervorragenden Werk. Mike Kamp
| DÉSIRÉE SAARELA & MARIA KALANIEMI MoD (Eclipse), mit schwedischen Texten
Die Zusammenarbeit der Folksängerin Désirée Saarela mit der Akkordeonlegende Maria Kalaniemi ist genauso unaufgeregt wie brillant. Hier musizieren zwei Spitzenkünstlerinnen ihres Fachs in Harmonie miteinander, ohne jeglichen Drang, Rekorde zu brechen oder die eigene Virtuosität in den Vordergrund zu spielen. Wie zwei Freundinnen, die sich nachmittags zum gemeinsamen Musizieren verabreden und sich selbst genug sind, so klingt MoD. Zuhörer stören nicht, sind aber nicht das Ziel des Duos. Hier ist Musik Selbstzweck und so, wie sich die zwei Musikerinnen in ihren Klängen verlieren, so treibt der Hörer davon. MoD erinnert eher an Liedermacherinnen wie Joni Mitchell als an ein Nordic-Folk-Album. Die Lieder folgen nicht skandinavischen Strukturen, sondern könnten auch als Americana durchgehen. Der Gesang von Saarela wird nur begleitet von Gitarre und Akkordeon. Die Songs vermitteln dem Hörer das Gefühl, zu Hause zu sein, genau am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Die Musik treibt wie ein ruhiger Fluss, in dem alles sein darf, Sehnsucht, Trauer, Zufriedenheit und Stille. MoD, das heißt schlicht „Maria und Désirée“, reduzieren die Musik auf das Wesentliche. Ein Album, das man leise hört. Ein Album, das man immer wieder hört. Chris Elstrodt
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SNOWFLAKE TRIO Sun Dogs (Ta:lik Records), mit engl. Texten u. Infos
Tja, auch das ist eine Art Fusionsmusik, und zwar vom Feinsten! Wie der Zufall so spielt (auch er ein Musiker?) trafen sich die in Schottland lebende Irin Nuala Kennedy (Flöte, Gesang) und die beiden Norweger Vegar Vårdal (Violine, Hardanger Fiddle) und Frode Haltli (Akkordeon) 2009 auf einer Session in Dundalk, Irland, und fanden, dass sie und ihre Musik gut zusammenpassten. In der Folge tourten sie häufiger und veröffentlichten 2018 endlich ihr Debüt mit Liveaufnahmen. Das auf dem Fuße folgende funkelnagelneue Studioalbum unterscheidet sich vom Gefühl her kaum davon. Auch hier überwiegt bei den irischen, norwegischen und selbst geschriebenen Melodien und Liedern das Livefeeling, das Spontane. Sie tragen den Gruppennamen eben nicht von ungefähr. Jede Schneeflocke hat eine andere Struktur (wie im informativen Beiheft schön zu sehen ist) und auch jedes Snowflake-Trio-Konzert ist anders. Während heutzutage viele Gruppen Powerfolk bevorzugen, zelebrieren die drei eine konsequent entschleunigte Musik. Schlussfolgerung: Wenn Entspannung gesund ist, dann ist es diese Musik auch. Und wunderschön! Mike Kamp
| VANDERLINDE Entering The Circus (Snakebite Records), mit engl. Texten
Arjan van der Linde hat um sich einige Musiker versammelt, mit denen er durch die Bluesclubs tourt. Tatsächlich vernachlässigt er auf Entering The Circus die ansonsten bevorzugte elektrische Gitarre und wendet sich mehr dem Folk zu, der bei ihm allerdings wenig balladesk ist, obwohl die Pedal-Steel-Gitarre und immer wieder Geigen in den Arrangements verwendet werden. Produziert vom legendären holländischen Produzenten Erwin Muster (Herman Brood, Paco de Lucía, Scorpions), der auch am Songwriting beteiligt war, macht dieses Album einen gediegenen, professionellen Eindruck. Van der Linde erinnert in vielem an holländische Bands, die in den frühen Siebzigern in den Hitparaden zu finden waren, bevor Disco ganz andere Trends setzte. Mit ihren leichtfüßigen Melodien und einem in weiche Gitarrensounds eingebetteten Schlagzeug verband diese Musik häufig noch Slidegitarre mit Akkordeon. So entstand eine gewisse maritime Atmosphäre, die nicht Shanty war, sondern davon träumte, auf dem offenen Segelkahn in der Nordsee herumzuschippern. Von solch einer Art Stimmung sind die Songs auf diesem Album getrieben, obwohl es Entering The Circus heißt. Von Zirkus keine Spur. Michael Freerix
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