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 CONSTANTINOPLE & BELEM: Horizons Lointains
CONSTANTINOPLE & BELEM
Horizons Lointains
constantinople.ca
didierlaloy.be
(Constantinople CON1703/ Galileo MC)
7 Tracks, 44: 02 , mit frz. u. engl. Infos


Vor gut zwei Jahren treffen sich zwei Frauen und zwei Männer zu einem Konzert unter dem Dach der Chapelle des Jésuites à Québec und erspielen für sich und ihre Hörer einen Klangraum, der nicht nur die Grenze zwischen Orient und Okzident in Frage stellt, sondern darüber hinaus die Begrenzung des eigenen Horizonts und dazu einlädt, eben jenen zu erweitern. Selbst der Livemitschnitt ist noch atemberaubend schön, weil sich mit den zwei Duos vier exzellente Virtuosen begegnen, die über ihre Instrumente souverän in ihrer eigenen Klangtradition verwurzelt sind. Wie etwa Didem Basar am Kanun oder Kathy Adam am Cello, die von dieser Basis aus scheinbar mühelos tonale Brücken bauen und betreten können. Bereits mit dem ersten Titel wird die ganze Palette an hörbaren Aromen ausgebreitet, der Hörer über ein Zwiegespräch zwischen der Setar, der von Kiya Tabassian gespielten persischen Langhalslaute und dem Kanun virtuell auf einen orientalischen Markt geführt, bis der Atem von Didier Laloys Akkordeon Ruhe gebietet, die das wunderbar gespielte Cello in einer Tiefe übernimmt und nur noch von dem darauf folgenden Unisono aller vier Instrumente in ihrer Wirkung überboten wird. Was für ein Statement in unserer Zeit – vielleicht in dieser Intensität überhaupt nur möglich durch Musik.
Cathrin Alisch
 GABACHO MAROC: Tawassol
GABACHO MAROC
Tawassol
gabachomaroc.com
(10h10-Music, 10H-18/Sony Music)
10 Tracks, 40:20


Sie zelebrieren ein Fest der Musik. Nach ihrem hochgelobten Debütalbum und unzähligen gefeierten Liveauftritten weltweit präsentiert die achtköpfige Band jetzt den Nachfolger. Tawassol bedeutet auf Arabisch „Verbindung“. Genau das könnte das Leitthema der energetischen Musik von Gabacho Maroc sein. Die aus Marokko, Algerien und Frankreich stammenden Musiker haben einen Stil entwickelt, der die Musik Nordafrikas und der traditionellen Gnawakultur mit arabischen und westlichen Einflüssen, mit Jazz, Afro und Elektrobeats vereint. Ob in Französisch oder Arabisch bestechend gesungen, sprengen die zehn Eigenkompositionen und traditionellen Arrangements jede Grenze. Tin Whistle trifft auf feine Brassstrukturen, Saxofonimprovisationen harmonieren mit afrikanischen Rhythmen, und Synthesizer, Ud und Gembri stehen im kreativen Dialog mit E-Gitarren. Alle Stücke verbreiten eine wahre Freude an der Musik, voller spannender Ideen sowie Klangfarben, und der Körper steht niemals still. Kein Wunder, dass die Konzerte der studierten Musiker meist in einer ausgelassenen Party enden.
Erik Prochnow

Afrika
 TOTO BONA LOKUA: Bondeko
TOTO BONA LOKUA
Bondeko
facebook.com/toto.bona.lokua
(No Format! NF39/ Indigo)
11 Tracks, 41:04


Bondeko, „Freundschaft“ oder „Brüderlichkeit“ in Lingala, ist nach dem Debüt 2004 tatsächlich erst das zweite Album der drei Ausnahmemusiker. Und, um es vorwegzunehmen: Es verdient überschwängliches Lob, und es fällt schwer, sich nicht in Superlativen zu verlieren, auch wenn es ein Wermutstropfen bleibt, dass die CD nur 41 Minuten dauert. Alle Stücke klingen souverän und vollkommen natürlich, als hätten Gerald Toto, Richard Bona und Lokua Kanza die dreizehn Jahre seit Erscheinen des ersten Albums damit verbracht, gemeinsam zu musizieren. Damals schon schufen die drei Musiker, die sich in der afrikanischen Diaspora kennenlernten, einen neuen panafrikanischen, weltoffenen Sound. Toto mit karibisch-kreolischen Wurzeln, Kanza aus dem Kongo und Bona aus Kamerun schöpfen noch immer aus den Quellen ihrer Heimatländer, auch wenn der Klang des Werks an Alben von Bobby McFerrin erinnert. Jeder der drei Musiker bringt seine individuelle Farbe gleichberechtigt ein. Sehr schön ist dies in die Gestaltung des Covers mit klaren Farben eingeflossen. Zusammen klingt das kosmopolitische Trio wie füreinander geschaffen, vielfältig und doch mit einer Vision: Freundschaft, Brüderlichkeit, bondeko.
Christoph Schumacher



Nordamerika
 ROBERT FINLEY: Goin’ Platinum!
ROBERT FINLEY
Goin’ Platinum!
robertfinleymusic.com
(Easy Eye Sound 7559-79343-6/Warner Music)
10 Tracks, 31:40


Was für ein Klischee: Im Hauptberuf Schreiner, war Robert Finley Zeit seines Lebens als semiprofessioneller Musiker in Louisiana vornehmlich am Wochenende aktiv. Nun ist er mit 68 Jahren fast erblindet, als auf einem seiner sonntäglichen Straßenkonzerte ein Besucher namens Dan Auerbach dem Publikum angehört. Der ist von Robert Finley absolut begeistert, und gut trifft es sich, dass Auerbach als Kopf der Black Keys gleichzeitig auch Musikproduzent ist. Der Weg ins Studio ist somit nicht weit, und auch, wenn diese Platte wohl kaum Platinstatus erreichen wird, handelt es sich doch um ein ganz außergewöhnliches Exemplar an „schwarzer Musik“. Der Sound wirkt wie aus der Zeit gefallen. Finley hat eine große, röhrende, vor Selbstbewusstsein strotzende Soulstimme, und Auerbach tat gut daran, die Produktion möglichst alt und somit authentisch klingen zu lassen. „Lo-Fi“ nennt sich das dann wohl. Und so gibt es hier Soul und Rhythm and Blues wie frisch aus den Sechzigern oder Siebzigern, mit manchmal schepperndem, übersteuertem Sound, doch stets grandios gesungen.
Achim Hennes
 DAVE GOODMAN : Cut To The Chase
DAVE GOODMAN
Cut To The Chase
dave-goodman.info
(Acoustic Music Records/Rough Trade 319.1577.2)
11 Tracks, 46:11 , mit engl. Texten u. Infos


Der kanadische Gitarrist, Komponist und Sänger Dave Goodman präsentiert auf höchstem Niveau zeitlosen Blues und Rockmusik. Von der akustischen bis zur elektrischen Gitarre zeigt er sein ganzes Können. Auch auf Lapsteel- und Resonatorgitarre fühlt sich Goodman zu Hause. Alle Stücke sind von ihm selbst komponiert und überzeugen ab der ersten Note. Seine Stimme ist wunderbar eindringlich. Als sparsamen und auch eleganten Gastmusiker lud er Chris Minh Doky am Kontrabass für zwei Titel ein; bei jeweils fünf Songs spielen Oliver Spanuth und Martin Röttger das Schlagzeug und erweitern die Songs mit dezenter Percussion. Den Rest spielt, singt und zaubert Goodman selbst im Hamburger Studio. Titel wie „You Must Be In Love“ und „Make My Day“ überzeugen durch viel Gefühl. Die intensive und ausgezeichnete Produktion, die im Dezember 2017 veröffentlicht wurde, ist für mich eine der besten Platten des vergangenen Jahres.
Annie Sziegoleit

 MÉLISSA LAVEAUX: Radyo Siwèl
MÉLISSA LAVEAUX
Radyo Siwèl
facebook.com/melissalaveauxoff
(No Format!/Indigo)
Promo-CD, 12 Tracks, 40:32


Erneut betört die aus Montreal stammende, in Ottawa aufgewachsene Singer/Songwriterin und Gitarristin mit ihrem sehr eigenen, rauchig-hohen Gesang und ebenso eigenwillig anmutenden, sich lässig zwischen Indierock und -pop sowie Folk ausstreckenden Songs. Das dritte Album versammelt nicht eigene, sondern mit viel Charisma zu eigen gemachte Lieder Haitis, des Heimatlandes ihrer Emigranteneltern. Das bereiste die 33-jährige Wahlpariserin 2016 nach über zwanzig Jahren erstmals. Doch statt wie geplant Songs ihres Idols, der international renommierten Schriftstellerin, Musikerin und Bürgerrechtlerin Martha Jean-Claude zu covern, verlegte sie sich auf Folksongs, teils uralte Traditionals, die thematisch weitestgehend vom Unabhängigkeitsstreben und Widerstandsgeist der Haitianer zusammengehalten werden. Dabei entstanden statt braver Adaptionen quasi neue, vom Esprit modernen Songwritings und von verschiedensten urbanen Einflüssen durchsetzte Songs, die Laveaux’ bunte Patchworksozialisation zwischen Neuer und Alter Welt spiegeln. Das gelungene Album ist nicht zuletzt ein Schmankerl für Gitarrenfans, tat sich doch die talentierte Gitarristin mit dem vielseitigen Saitenmagier und Kopf der Band Kobo Town, Drew Gonsalves aus Trinidad zusammen.
Katrin Wilke
 MAVIS STAPLES: If All I Was Was Black
MAVIS STAPLES
If All I Was Was Black
mavisstaples.com
(Anti- 7557-2/Indigo)
10 Tracks, 34:41


Ein Album der großen Soulsängerin, mit dem sie eine andere Seite der dann doch großartigen Idee „Amerika“ zeigt. Zeitlos schöne Musik, intelligente, hinterfragende Texte – ja, und auch Stil, Eleganz und sogar Selbstkritik. Bewusst setzt Mavis Staples damit ein musikalisches Gegengewicht zur derzeit herrschenden politischen Ausrichtung. Klar, jemand der bereits in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit den Staple Singers den Soundtrack zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung mitgeliefert hat, kann heute nicht lange still bleiben. Treibend und mit stoischem Beat klingt „No Time For Crying“ dann auch wie ein Stück aus ebendieser Zeit, die Stimme wie gewohnt warm, schmeichelnd und mit wunderbarer Tiefe, dabei in den Worten unmissverständlich und hart ins Gericht gehend. Jeff Tweedy, Sänger und Gitarrist der Band Wilco, hat das Album produziert, die meisten Texte geschrieben und spielt auch Gitarre. Ein fantastischer Gegensatz zur Stimme von Staples, der immer wieder Reibung erzeugt. „We Go High“, ein weiteres grandioses Stück, setzt die denkwürdige Rede Michelle Obamas und deren Worte „When they go low, we go high …“ als musikalisches Statement fort. Das andere Amerika eben.
Achim Hennes

Australien/Ozeanien
 TIM HART: The Narrow Corner
TIM HART
The Narrow Corner
timhart.com.au
(Nettwerk/Warner ADA)
Promo CD, 13 Tracks, 49:14


Kaum zu glauben, dass man Tim Hart bislang hauptsächlich nur als Schlagzeuger kennt – auch wenn es für die preisgekrönte australische Folkrockband Boy & Bear ist. Was in dem Allroundmusiker alles steckt, ist nun auf seinem zweiten Solowerk zu hören. Die dreizehn Eigenkompositionen sind Songwriting und Storytelling auf höchstem Niveau. Mit seinem warmen Tenor singt Hart über Aufstieg, Fall, Verlust und Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen. In der Tradition von Simon & Garfunkel und Crowded House überzeugt er dabei nicht nur durch tiefgehende Texte, sondern auch hervorragende Arrangements, die durch ihre Einfachheit und Melodie- sowie Akkordführung bestechen. Häufig werden seine eingehenden Fingerpickings von Streichern, Klavier, Horn oder bei den schnelleren Stücken von groovigen Drumparts und Gitarrensounds unterstützt. Die meisten Instrumente spielt Hart selbst. Komponiert hat er seine Songs während der Tour mit Boy & Bear. Man kann dem Australier nur wünschen, noch lange unterwegs zu sein, denn dann werden wir wahrscheinlich noch mehr musikalische Perlen von ihm hören.
Erik Prochnow