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 CHRISTOPH WAGNER: Träume aus dem Untergrund : als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten. – 1. Aufl.
CHRISTOPH WAGNER
Träume aus dem Untergrund : als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten. – 1. Aufl.
silberburg.de
(Tübingen : Silberburg-Verl., 2017. – 178 S. : mit zahlr. Fotos)
ISBN 978-3-8425-2039-4 , 24,90 EUR


Nach seinem sorgfältig recherchierten, für den musikgeschichtlich interessierten Leser durchweg packend geschriebenen Werk Der Klang der Revolte – Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground (siehe Folker 6/2013) hat Folker-Mitarbeiter Christoph Wagner nun ein weiteres, ebenso aufschlussreiches Buch vorgelegt, das die alternative Musikszene der Sechziger- und Siebzigerjahre speziell in Baden-Württemberg mit dem liebevoll-kritischem Blick des direkt Beteiligten ausleuchtet. Anschaulich schildert Wagner die immensen Schwierigkeiten junger Menschen in der Provinz, an den Segnungen moderner Jugendkultur jener Zeit teilzunehmen. Ohne eine große Portion Fantasie, gepaart mit viel Durchsetzungskraft und der permanenten Bereitschaft, unentgeltlich tätig zu sein, wären die spannendsten Ereignisse und gesellschaftlichen Umwälzungen gerade dieser Jahre glatt am ländlichen Raum vorübergegangen. Viele Jugendliche im Südwesten wollten allerdings teilhaben. Sie gründeten in Eigenregie Jugendklubs, eröffneten Beatschuppen, bauten alte Gewölbe zu Jazzkellern aus und schafften sich auf diese Weise Freiräume. Wagner erzählt in den einzelnen, reich bebilderten Kapiteln an den Musikgenres entlang. Am Anfang gab es sehr viel Jazz, dann kam der Beat dazu, auch Soul war angesagt. Natürlich durfte auch der Blues nicht fehlen. Etwas später entwickelte sich die Folkszene, und dann entfaltete Woodstock seine Magie, es wurde laut und rockig im Ländle. Nahezu alle Stars der damaligen Rock- und Popszene begeisterten damals das Publikum in Baden-Württemberg. Doch es gab auch einheimische Künstler von Format: Wolfgang Dauner, Guru Guru, Kraan, Zupfgeigenhansel, Thomas Felder, Christof Stählin, Walter Moßmann … Dieses Buch erhellt stellvertretend viele wichtige Musikphänomene der damaligen Zeit. Kann man übrigens auch prima verschenken.
Kai Engelke
 WILL KAUFMAN: Woody Guthrie’s Modern World Blues.
WILL KAUFMAN
Woody Guthrie’s Modern World Blues.
oupress.com
(Norman : Univ. of Oklahoma Pr., 2017. – 328 S. : 14 s/w-Abb.)
ISBN 9780806157610 , 32,95 USD


Nach American Radical, seinem Buch, das Woody Guthries radikales politisches Denken dokumentiert, räumt Will Kaufman in seiner neuen Veröffentlichung einmal mehr mit dem immer noch bei vielen vorherrschenden eindimensionalen Bild vom US-Singer/Songwriter als simplem Dustbowl-Sänger auf. Für Kaufman ist Guthrie ein Vertreter des nordamerikanischen Modernismus. Zur Beweisführung untersucht der Autor unter anderem seine Zeichnungen und Sketche, die Bezüge zu zeitgenössischen Künstlern von Paul Klee und Wassily Kandinsky bis zu Architekten wie Walter Gropius und Le Corbusier erkennen lassen. In anderen Kapiteln zeichnet Kaufman anhand ausgesuchter Texte über Highways, Eisenbahnen, Flugzeuge und Schiffe nach, wie sehr Guthrie von technologischen Entwicklungen fasziniert war. Dazu gehörte auch sein Glaube an eine friedliche Nutzung der Atomenergie. Er unterstützte sogar den Abwurf der Atombombe, um den Krieg schneller zu beenden. Kaufman weist nach, dass hinter dem sich rustikal gebenden Sänger ein kluger Intellektueller steckte, der sich mit den Erscheinungen der modernen Welt auseinanderzusetzen wusste. Wobei er im Sozialismus das logische Ende einer gesellschaftlichen Evolution sah, für die Arbeiter, Wissenschaftler und Künstler gemeinsam den Weg ebnen müssten. Daran glaubte Guthrie bis zuletzt. Auch wenn er – so Kaufman – vielleicht tief in seinem Herzen sogar daran zweifelte, ob seine Kunst die Menschen wirklich davon überzeugen könnte, dass dies ihre Welt sei, habe er nach außen immer konsequent vertreten, dass er es glaubt.
Michael Kleff

 RONNIE LANE: Can You Show Me A Dream? : The Ronnie Lane Story as told by those that knew and loved him / an oral biography by John Hellier …
RONNIE LANE
Can You Show Me A Dream? : The Ronnie Lane Story as told by those that knew and loved him / an oral biography by John Hellier …
ronnielanestory.co.uk
bookdepository.com
(o. O. : Griffiths, 2017. – 332 S. : m. Fotos)
ISBN 978-0-9956533-9-9 , 20,00 GBP


In der britischen Folkszene hat er kaum Spuren hinterlassen, der schmächtige „magic midget“ aus dem Londoner East End. Der liebenswerte Bassist und Sänger, der ab 1965 mit der Beatband The Small Faces, ab 1969 mit der Bluesrockgruppe The Faces für Furore sorgte, hatte es auch nie darauf angelegt, in irgendeiner Genreschublade zu landen. Seine Songs wurden vielfach gecovert, auch von Interpreten, die dem Folk nahestehen (Billy Bragg, Iron & Wine, Rumer, Pogues). 1946 im Arbeiterviertel Plaistow geboren, war Ronald Lane erst einmal mit Music-Hall-Songs und Easy Listening „beschallt“ worden. Als Jugendlicher begeisterte er sich vor allem für Rhythm and Blues; englische Folkmusik blieb ihm fremd, das Revival mag ihm zu intellektuell, zu abgehoben gewesen sein. Der eingeschworene Mod verkörperte als Small Face eben den British Beat. Als Rockmusiker entdeckte Lane gleichwohl auch andere Musikstile, zum Beispiel Cajun, lernte amerikanische Singer/Songwriter kennen, unter anderem Derroll Adams und Don Williams. Bei den Faces war er mit seinen Balladen und folkorientierten Songs der Gegenpol zu den „Rockern“ Ronnie Wood und Rod Stewart. 1973 zog Lane dann den Stecker, tourte im Land Rover mit seiner Gitarre durch irische Pubs und gründete die Folkrockband Slim Chance, die es seit 2010 wieder gibt. Seit seinem Tod 1997, dem ein langwieriger Krankheitsprozess voranging (seit Ende der Siebzigerjahre litt er an multipler Sklerose), wurde eine würdige Biografie erwartet, und das dürfte noch dauern, denn dieser durchaus lesenswerte Reader ist eigentlich eher ein chronologisch geordnetes Puzzle aus unzähligen Interviews mit Lane himself, Freunden und Verwandten. Im Schlussteil würdigen unter anderem Fairport-Drummer Bruce Rowland († 2015) oder Henry McCullough († 2016) ihren Kollegen.
Roland Schmitt
 ISABELLE MARC, STUART GREEN (Hrsg.): The Singer-Songwriter in Europe : Paradigms, Politics And Place / Ed. by Isabelle Marc …
ISABELLE MARC, STUART GREEN (Hrsg.)
The Singer-Songwriter in Europe : Paradigms, Politics And Place / Ed. by Isabelle Marc …
routledge.com
(London [u. a.] : Routledge, 2016. – XVI, 237 S. – [Ashgate Popular and Folk Musi)
ISBN 978-1-4724-5210-8 , 110,00 GBP


Mit den hier versammelten dreizehn Aufsätzen einer Gruppe von Linguisten und Musikologen aus ganz Europa wollen die Herausgeber eine von ihnen beklagte Lücke schließen, wonach dem Genre Singer/Songwriter nicht die akademische Aufmerksamkeit zuteilwird, die sie verdient hätte. Mit einem polyzentrischen Ansatz betrachten die Autoren Liedermacher in Europa vor dem Hintergrund eines komplexen geografischen, historischen und kulturellen Konstrukts, das natürlich nicht losgelöst von anderen Ländern ist – vornehmlich den USA und Kanada, aber auch Lateinamerika. Zunächst beschäftigen sich die Herausgeber ausgiebig mit der Frage, was denn nun das Genre Singer/Songwriter eigentlich ausmacht. Wobei der Erkenntnisgewinn meiner Ansicht nach gering ist. Konkreter – wenn auch sprachlich in keiner Weise leichter verständlich – wird es, wenn sich die Autoren ihrem Thema unter drei grundsätzlichen Fragestellungen nähern. Unter der Überschrift „Paradigmen“ gehen sie unter anderem mit Blick auf die italienischen Cantautori der Frage nach, unter welchen Rahmenbedingungen sich das Genre entwickelt. Wobei Franco Fabbri die These in Frage stellt, dass die Singer/Songwriter sich aus einer anglofonen Tradition heraus entwickelt hätten. Im Kapitel „Politik“ geht es um die Rolle von Künstlern vor dem Hintergrund politischer Rahmenbedingungen. Der Aufsatz von Dieter Elflein widmet sich dabei dem deutschen Liedermacher. Er beklagt, dass in der wissenschaftlichen Beschäftigung der Fokus zu sehr auf (partei-)politisch engagierten Musikern liege und Liedermacherinnen vernachlässigt würden. Im dritten Teil „Ort“ schließlich geht es um die Rolle regionaler und grenzübergreifender Faktoren bei der Genrebildung. Ein interessantes, wenn auch nur schwer lesbares Buch.
Michael Kleff

 KATHARINA HOTTMANN: Auf! Stimmt ein freies Scherzlied an : weltl. Liedkultur im Hamburg der Aufklärung.
KATHARINA HOTTMANN
Auf! Stimmt ein freies Scherzlied an : weltl. Liedkultur im Hamburg der Aufklärung.
metzlerverlag.de
(Stuttgart : Metzler, 2017. – XVI, 944 S. : mit 51 Abb. u. 64 Notenbeisp.)
ISBN 978-3-476-04354-2 , 129,99 EUR


Das achtzehnte Jahrhundert gilt in der Forschung bisher als „liederlose Zeit“, als ob nach der Barockdichtung und vor Schubert der Gesang verstummt wäre. Mit dieser Vorstellung wird nun gründlich aufgeräumt. Klar haben die Leute damals gesungen! Davon erzählen sie selbst in Briefen, Tagebüchern und Zeitungsartikeln, wir kennen die Titel von Liederbüchern und wissen um den Druck von Liedblättern, nur sind die meisten davon nicht erhalten oder bisher nicht auffindbar. Ein neues Standardwerk untersucht das „weltliche“ Singen in Hamburg – wo die Situation insofern anders lag als in Leipzig oder Berlin, als dass in Hamburg selbst die reichen Kaufleute im Alltag Platt sprachen und an hochdeutschen Liedern aus den ostdeutschen Musikmetropolen eher weniger Interesse hatten. In Hamburg wirkten Dichter wie Lessing oder Hagedorn und Komponisten wie Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach, dazu namenlose Dichter, die eben auf Platt oder Missingsch verfassten, dazu eine beeindruckende Anzahl von Dichterinnen und Komponistinnen, die für heutige Maßstäbe gewaltig an den Geschlechterrollen rüttelten. Die Musikwissenschaftlerin Katharina Hottmann untersucht in ihrem Buch, welches das Zeug zum Standardwerk hat, wer damals gesungen hat, was gesungen wurde, wo die Liederbücher und Liedblätter gedruckt und wie sie vertrieben wurden. Sie zeigt auf, wann und wo gesungen wurde und weist auf Unterschiede zu heute hin. Im achtzehnten Jahrhundert wurden Trinklieder gesungen, um die Leute vom Trinken abzuhalten – wer singt, kann schließlich nicht gleichzeitig trinken –, während heute der Trunk nötig zu sein scheint, um zum Singen zu bewegen. Nicht allen gefiel die Hamburger Singerei, ein Reisender beschwert sich über den ewigen Lärm „der Fuhrwerke, der Hummerverkäufer und der Straßensänger“.
Gabriele Haefs
 AERNSCHD BORN: Eifach e Lied : d. Worte meiner Songs aus fünf Jahrzehnten 1967-2017.
AERNSCHD BORN
Eifach e Lied : d. Worte meiner Songs aus fünf Jahrzehnten 1967-2017.
borninbasel.ch
(Basel : ambripress, 2017. – 504 S.)
ISBN 978-3-905367-12-6 , 28,00 CHF


Vor fünfzig Jahren begann der Basler, in Liedform Fragen über Gott und die Welt zu stellen und darauf Antworten zu suchen. Ein paar wenige Lieder wollte er schreiben, doch es wurden immer mehr. Denn die Fragen blieben, und Antworten fand er kaum. Seine Texte sind fast alle in Basler Mundart gehalten, 230 davon finden sich in dieser Anthologie. Born blieb sich über all die Jahre treu. Das Haar in der Suppe ist ihm nicht wichtig. Was für ihn zählt, ist die Qualität der Suppe. Er ist ein wortreicher Kämpfer für eine bessere, menschlichere Heimat, die er verstehen und hinter der er stehen kann. Manchmal bleiben ihm beim Schreiben nur Sarkasmus und Galgenhumor. Liest man sein vor 25 Jahren geschriebenes „Lied der Folterknechte“, verwundert das kaum. Darin prangert er den Zwang zur Anpassung und Normierung an, dem wir uns täglich unterwerfen. Die Folterinstrumente der Mächtigen hießen damals Beton, Büchsenfutter und Blechkarosse. Das Lied aus seinem Programm „Schweizerkurs“ ist aktueller denn je. Die Unterwerfungsmechanismen sind dieselben geblieben, aber sie kommen in einem verführerischeren Kleid daher. Alle Texte sind alphabetisch geordnet, alte und neue stehen Seite an Seite. Im Anhang hat der Autor viele der Basler Dialektwörter aufgelistet. Baseldeutsch gilt für Deutsch Sprechende als eine der am leichtesten zu verstehenden Schweizer Mundarten. Am Schluss erfahren wir mehr über die Stationen im Leben des Liedermachers – und dass hier einer singt, der seine Texte auch immer als Aufforderung an sich selbst verstanden hat. Das Vorwort des Buches schrieb Rapper Greis. Wenn dieser nach Inspiration sucht, nimmt er sich jeweils Aernschd Borns 1975 entstandenes Lied „Victor Jara“ vor. Da orientiert sich ein Berndeutsch singender Rapper am Jahrzehnte zuvor entstandenen Protestsong eines Baseldeutsch singenden Folkies. Gibt es ein schöneres Kompliment? Hier ist die Saat aufgegangen.
Martin Steiner