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Backkatalog   Ausgabe Nr. 5/2019   Internetartikel
»Jeder Song ist individuell, mit eigenen Stimmungen und Atmosphären.«
Sarah Horneber
Frollein Smilla * Foto: Andreas Geipel

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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Aktuelle Alben:

Frollein Smilla: Freak Cabaret
(T3 Records, 2019)

Fräulein Tüpfeltaubes Tagebuch
(Bluestrings Records, 2018)


Cover Freak Cabaret

Cover Fräulein Tüpfeltaubes Tagebuch


Zweimal deutsche Fräuleins

Chansons für Herz, Hirn und Beine

Frollein-Smilla-Sängerin Desna Wackerhagen benutzt die altmodische Ansprache positiv: „Wenn diskriminierende Wörter reflektiert und auf eine emanzipierte Weise neu angewendet werden, ist es vielleicht möglich, sich von ihrer Bedeutung zu befreien.“ Sarah Horneber von Fräulein Tüpfeltaubes Tagebuch erklärt, die Verwendung von Fräulein sei bei ihnen „mehr als ironischer Wink in die Vergangenheit zu verstehen“.

Text: Ulrich Joosten

Frollein Smilla

Die Musik der Berliner Band lässt sich in keine Schublade einsortieren. Und das ist gut so – unbändige Kreativität, eine Leadstimme mit hohem Wiedererkennungscharakter, Piano-, Akkordeon und Gitarrenklänge und eine Bläsersektion, die groovt wie die sprichwörtliche Sau. Man hat den Eindruck, dass musikalisch alles geht und noch ein wenig darüber hinaus: Funk, Soul, Hip-Hop, Balkanbeats, Afrobeat, Folk. Musikalische Vielfalt und intelligente Texte, die Herz, Hirn und Beine gleichermaßen ansprechen.
„Wir haben verschiedene musikalische Hintergründe“, erklärt Tastenfrau Anja Kitzing. „Einige von uns haben Musik studiert, andere haben sich ihr Instrument selbst beigebracht. Wir machen schon lange Musik und haben vorher in anderen Bands gespielt. Frollein Smilla ist aus dem Electronic Swing Orchestra entstanden, in dem Desna Wackerhagen und ich Mitglied waren. Diese Band war sehr auf Electroswing festgelegt, sodass nach einer Weile der Wunsch entstand, ein Projekt zu gründen, das die vielfachen anderen musikalischen Geschmäcker widerspiegelt.“
Der Titel Golden Future des 2016 erstmals und inzwischen auf Vinyl wiederveröffentlichten Debütalbums ist rückblickend nicht schlecht gewählt. Die jungen Berliner Wilden haben seitdem viel Aufmerksamkeit erregt und sind im Januar 2019 mit der Freiburger Leiter in der Sparte „Musik“ ausgezeichnet worden. Kurz darauf veröffentlichen sie ihr zweites Album Freak Cabaret.
Seit dem Erstling sei viel passiert, erzählt Kitzing. „Die Band ist sehr gut aufeinander eingespielt, Arrangements entstehen gemeinsam in einem sehr flüssigen Arbeitsprozess, und im Vergleich zum ersten Album sind noch mehr Funk- und World-Music-Elemente eingeflossen.“
Einen nicht unerheblichen Teil des Klangcharakters machen die Bläser aus, die die Leadsängerin Desna Wackerhagen, die zweite Sängerin Emilia Wackerhagen sowie Anja Kitzing druckvoll ergänzen. „Es gab schon immer den Wunsch nach einer Horn Section“, sagt Kitzing. Den Posaunisten Robin Langner kennen die Damen vom Electronic Swing Orchestra. Er wird 2018 Mitglied bei Frollein Smilla und bringt gleich den Trompeter Julius Kaufmann mit, der nebenbei auch noch Flügelhorn spielt. Für die deutschen und englischsprachigen Liedtexte zeichnen gleichermaßen Anja Kitzig und Desna Wackerhagen verantwortlich. „Wir schreiben beide in beiden Sprachen“, sagt Kitzing. „Deutsch ist poetischer, manchmal aber auch sperriger, und Klischeesätze tun mehr weh als auf Englisch.“
Die Texte der Band sind inspiriert durch „Gefühlszustände, Erlebnisse, Beobachtungen – alles, was uns berührt. Das können politische Themen sein, Beziehungen, Ängste oder Wünsche an die Zukunft“, sagt Anja Kitzing. Und Desna Wackerhagen ergänzt: „Texte müssen nicht zwangsläufig politisch oder tiefschürfend sein. Es fällt uns allerdings schwer, nicht immer auch irgendwo ein bisschen zynische Selbstreflexion und würzige Gesellschaftskritik mit einzubauen. Wir bleiben dabei eher poetisch, da Parolen sich oft nicht gut an die Musik anschmiegen, was uns mindestens genauso wichtig ist wie unsere Aussagen.“
Dabei soll die Musik der Band, so Wackerhagen, „real sein. Wir wollen aber nicht um jeden Preis komplex klingen, um irgendetwas zu beweisen. Uns ist wichtig, dass alles möglich ist und dennoch nichts überladen wird. Oft verbringen wir viel Zeit damit, einzelne Parts wieder zu entkleiden, um die Seele eines Songs für sich sprechen zu lassen.“

Fräulein Tüpfeltaubes Tagebuch

Lieder wie aus einem abgegriffenen Album sepiafarbener Fotos, verträumt, verspielt. Wie Eintragungen aus einem vergilbten Tagebuch, das drei junge Musiker auf einem verstaubten Dachboden gefunden haben könnten. Erinnerungen, Erlebnisse – Eindrücke eines gewissen Fräuleins namens Tüpfeltaube.
Sarah Horneber, 1988 in Fürth geboren, hat Jazz/Pop-Querflöte und Gesang am ArtEZ Conservatorium im niederländischen Arnheim studiert. Genau dort liegt der Ursprung des Chansontrios. An der Hochschule lernt sie die Bratschistin Anna-Sophie Dreyer und den Cellisten Veit Steinmann kennen. „Wir haben alle drei einen klassischen Hintergrund“, sagt Horneber, „und zusätzlich Jazz- und Popmusik studiert.“ Zunächst sind es Coverstücke aus diesen Genres, die das Trio innovativ für seine fast kammermusikalische Besetzung arrangiert. Dass es dabei auf Dauer nicht bleibt, überrascht angesichts der kreativen Vielfalt der Songs auf dem Debütalbum nicht.
Im Laufe der Jahre hat Horneber viele stilistisch unterschiedliche Lieder geschrieben und mit der Band instrumentiert. „Jeder Song ist individuell, mit eigenen Stimmungen und Atmosphären.“ Musikalisch bewegt sich das Trio dabei im Spannungsfeld zwischen Pop, Jazz, Klassik, Rock und Weltmusik. Der Bandname ist geboren, als die Musiker erkennen, dass die Chansons Eintragungen in einem Tagebuch ähneln. „Man schreibt Lebensausschnitte hinein, hält Momente und verschiedenartige Gefühlslagen darin fest. Mal ist man im siebten Himmel, mal frustriert, belustigt, melancholisch, verärgert“, sagt Horneber. Getragen werden die Songs von ihrer charakteristischen Stimme, die sich wandelbar in die Atmosphäre jedes einzelnen Stücks einfühlt.
Die Tagebuchschreiberin Fräulein Tüpfeltaube ist nicht etwa, wie man vermuten könnte, Hornebers Alter Ego, sondern „vielmehr unsere Muse, eine neckische Sagengestalt aus alten Zeiten, bei der man nicht weiß, wie viel Mensch und wie viel Vogel sie ist. Sie hat einen facettenreichen Charakter, mal ist sie frech, mal ausgelassen, mal melancholisch, ironisch. Und sie verfügt über Wissen aus vergangenen Epochen.“
Zu ihren Texten sucht Horneber zunächst eine Melodie und Akkorde, arrangiert gelegentlich ein Intro oder Zwischenspiel. In der Bandprobe entstehen die Arrangements gemeinsam, wobei der kreative Umgang mit dem vorhandenen Material wichtig ist. „Die Streichinstrumente können sowohl das Pfeifen eines Winterwindes nachahmen als auch perkussive Elemente einbringen oder Akkorde auslegen. Die Querflöten setzen wir meist für kleine Melodien und Improvisationen ein. Wenn wir eine Basisversion für unser Trio haben, erweitern Schlagzeug und Gitarre den Bandsound.“ Ein Song soll letztlich überzeugend klingen und dem textlichen Inhalt gerecht werden.
Bei allen schönen Arrangements sind den Musikern Freiheiten beim Improvisieren und das Zusammenspiel in der Band wichtig. „Was dann dabei herauskommt, ist hoffentlich gute Musik, bei der die Zuordnung zu einem speziellen Genre eher eine untergeordnete Rolle für uns spielt. In erster Linie soll es interessant klingen und der Hörer Freude am Entdecken der musikalischen Details finden.“
Je nach Veranstaltungsort wird das Trio wie im Studio von zwei weiteren Musikern unterstützt, um die soundtechnischen Möglichkeiten zu erweitern – Philipp Ulrich an der Gitarre und Philipp Klahn mit Schlagzeug und Percussion. Und je nach Spielort tritt die Band als Duo, Trio, Quartett oder in voller fünfköpfiger Besetzung auf. „Die Songs“, meint Horneber, „funktionieren in allen Formationen, sind dann teilweise minimalistischer oder aber eben orchestraler.“

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Fräulein Tüpfeltaubes Tagebuch
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