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Kai Degenhardt * Foto: Maren Carstensen

Resonanzboden
— Gedanken zur Zeit

Gastspiel





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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Autoreninfo:


Kai Degenhardt, Jahrgang 1964, ist Liedermacher und Kommunist. Gut zwanzig Jahre lang begleitete er seinen Vater Franz Josef als Gitarrist und Arrangeur. Inzwischen hat er sechs eigene Alben veröffentlicht. Weiter draußen (2008) und Näher als sie scheinen wurden vom Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Seine aktuelle CD Auf anderen Routen war im vergangenen September „CD des Monats“ der Liederbestenliste. Degenhardt lebt und arbeitet in Hamburg.


Vom Singen in finsteren Zeiten

Ohne Streik wird gar nichts gehen

Vor zehn Jahren wurde ich hier im Folker gefragt, ob ich nicht auch Konzepte hätte für die Lösung der in meinen Liedern zuhauf besungenen gesellschaftlichen Missstände. Darauf sagte ich, etwas trotzig, aber aus voller Überzeugung: „Ausformulierte Nutzanweisungen entsprechen nicht meinem Verständnis von Poesie. Es ist ja schließlich auch kein Geheimwissen, dass man gegen Kriege auf die Straße gehen oder für den Erhalt seines Arbeitsplatzes und bessere Arbeitsbedingungen streiken kann.“ Das war damals, ganz zu Beginn der großen Krise und auch – wir erinnern uns – der von vielen nach der finsteren Bush-Ära so heiß ersehnten und emphatisch begrüßen Amtszeit Barak Obamas.

Text: Kai Degenhardt

Die Hoffnungen auf einen grünen Kapitalismus mit menschlicherem Antlitz haben sich seitdem längst zerschlagen. Gegen die globalisierte Austeritätspolitik sahen wir zwischenzeitlich historische Massenbewegungen entstehen und beinahe sämtlich auch wieder verschwinden; von den zerschlagenen Revolutionsbewegungen in einigen arabischen Ländern über die Platzbewegungen von Santiago de Chile bis Istanbul, die Indignados und Occupy Wall Street bis zu den generalstreikenden Griechen und Franzosen mitten im Herzen EU-Europas. Abgeräumt!
Die extreme Rechte ist europa-, ja, weltweit mehr als nur aufmarschiert. Sie sitzt in Deutschland, sieben Jahrzehnte nach der Befreiung vom Faschismus, wieder im Bundestag und in jedem einzelnen Landesparlament. Unter der Oligarchen-Präsidentschaft Donald Trumps und der Parole „America first“ rüstet der US-Imperialismus immer weiter auf und ist schon jetzt jederzeit im Stande und bereit, überall auf dem Globus Atomwaffen einzusetzen. Gleichzeitig werden die Konflikte mit Nordkorea, Russland und dem Iran systematisch eskaliert.
In den hiesigen, offiziellen Polit-Talkrunden wird indessen zwischen Ausländerkriminalität und Diesel-Hardware-Nachrüstung oszilliert. Es brennen weiter die Asylbewerberheime und liegen mithin die dauergutgelaunten Grinsekatzengesichter der Frühstücksfernsehmoderator/innen häufiger mal in Falten. In den Hitparaden regieren Neo-Schlager und Dancefloor, getreu dem ewig gültigen Unterhaltungs-Imperativ: „Wir machen durch bis morgen früh und singen bumsfallera“.
Was würde ich heute auf die eingangs erwähnte Frage antworten? Darüber habe ich nachgedacht, auch beim Schreiben der Songtexte für mein neues Album Auf anderen Routen, denn die gesellschaftlichen Entwicklungen bilden nun mal den Resonanzraum für alle politische Kunst. Aber das Verfassen von tagespolitischen Handreichungen und Protest-Maßgaben ist eben immer noch nicht meine poetische Kernkompetenz. Und zum Glück gehen die Leute – wenn auch längst keine Mehrheiten – ja ohne mein Zutun und trotz des permanenten, politkulturellen Affirmations-Sperrfeuers gegen Nazis auf die Straße, wird in Krankenhäusern und Flughäfen gestreikt, wehren sich Menschen gegen allzu marktkonforme Kahlschläge und Abholzungen. Doch die Reaktion scheint durchzumarschieren. Sie haben die Macht, ihnen gehören die Medien und die anderen Kulturmaschinen. Sie bezahlen die Pfeifer und Claqueure. Das ist die Lage.

... mehr im Heft.

Dies ist eine Kolumne. Für die Inhalte der hier veröffentlichten Texte sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Diese Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.