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Backkatalog   Ausgabe Nr. 4/2017   Internetartikel




»Etwas gegeneinander auszuspielen, ist einer der Hauptwege, die ich für mich zum Musikmachen fand.«
Arto Lindsay * Foto:  Carstor, Wikipedia

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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Auswahldiskografie:

Cuidado Madame
(Ponderosa/Edel, 2017)

Encyclopedia Of Arto
(Do-CD; Ponderosa/Edel, 2014)

Salt
(Righteous Babe Records, 2004)

Noon Chill
(Rykodisc, 1998)


Cover Cuidado Madame


Obacht, Oberschicht!

Arto Lindsay und die Liebe zum Disparaten

Der Gitarrist, Sänger und Produzent Arto Lindsay meldet sich mit einem Album zurück, das nicht so klingt, als seien seit seiner letzten Studioarbeit ganze dreizehn, offenbar wechselvolle Jahre vergangen. Der Avantgardist, der nach längerer krankheitsbedingter Auszeit kürzlich seinen 64. Geburtstag feiern konnte, beschert weiterhin Wechselbäder – mal sperrige, der E-Gitarre geradezu physisch entrissene Noiseklänge, mal sinnlich-fragile poetische Miniaturen mittels sanfter Gesänge auf Englisch oder Portugiesisch. Beruflich wie privat wandelt Lindsay von jeher zwischen den USA und Brasilien. Am derzeitigen Wohnort Rio und in Brooklyn entstand mit Cuidado Madame auch das achte Album unter eigenem Namen, das diese Nord-Süd-Verbindung vergleichsweise deutlich herstellt.

Text: Katrin Wilke

Wirklich vermisst haben ihn wohl nur hartgesottene Fans, vor allem in Europa, wo man Arto Lindsays Werk womöglich mehr schätzt als zu Hause. Zum Beispiel in Berlin, das dem schmalen, von jeher zeitlos „unjung“ aussehenden Mann auch umgekehrt schon lange am Herzen liegt. Dort kreuzte er die letzten Jahre sporadisch auf – für einen Soloauftritt in einem Kreuzberger Club oder im Duo mit einem zeitgenössischen Tänzer, für eine Studiosession mit dem Postrocktrio To Rococo Rot oder aber, wie 2009, mit The Penny Parade, einem dieser von ihm seit Längerem organisierten Umzüge, bei denen mit ortsansässigen Musikern Avantgarde und Volkskultur, Sozialkritik und Lebensfreude auf der Straße zusammengebracht werden. Die alles andere als pompöse Veranstaltung verrät vielleicht sogar mehr als Lindsays kryptische Musik über seine hybride Sozialisation und die Liebe zum Disparaten. „Es ist schon so ein Gag über mich, diese Idee von laut versus sanft, verzerrt versus gefühlvoll“, bemerkt er schmunzelnd zu dieser Art Zweikampf. Auf Cuidado Madame suggerieren der Song „Unpair“ – mit Zeilen der US-amerikanischen Dichterin Emily Dickinson – und der einzige Instrumentaltrack „Arto Vs. Arto“ dieses Duell schon jeweils im Titel. „Ich nutze diese Gegensatzpaare, mag das Gefühl, geschmeidig, leicht von einem zum anderen gehen zu können. Etwas gegeneinander auszuspielen, ist einer der Hauptwege, die ich für mich zum Musikmachen fand.“
Der Samen dieser Erkenntnis liegt vielleicht schon in der Kindheit im Nordosten Brasiliens, wohin der 1953 in Virginia geborene Missionarssohn als Dreijähriger durch die Arbeit des Vaters geriet. Fünfzehn Jahre später als Teenager zurück in den USA, stand er unter dem Eindruck der Militärdidaktur in Brasilien, erlebte aber auch deren kreativste Störenfriede, die Tropicalistas. Diese kulturelle, vor allem musikalisch aktive Politbewegung, die vor genau fünfzig Jahren äußerst verwegen und originell mit Jazz, Rhythm and Blues, Funk und Soul, Samba und Bossa laborierte, ist heute noch immer eine starke Referenz der Música Popular Brasileira. Mit einigen ihrer Protagonisten wie etwa Caetano Veloso arbeitete Arto Lindsay später auch als Produzent und Musiker zusammen.

... mehr im Heft.