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Backkatalog   Ausgabe Nr. 1/2019   Internetartikel
»Entweder man greift den Faden auf oder das Publikum kommt irgendwann nur noch aus Gründen der Nostalgie.«
Joan Baez * Foto: Marina Chavez

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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Aktuelles Album:

Whistle Down The Wind
(Concord Records/Proper Records, 2018)


Cover Whistle Down the Wind


Joan Baez

Schwierigkeiten mit der Altersteilzeit

Ein letztes Album sollte es 2018 mit Whistle Down The Wind noch geben, zum Abschied eine letzte Tournee, dann wollte Joan Baez kürzertreten. Bei einer derartigen Lebensleistung nur verständlich. Doch die Altersteilzeit gestaltet sich schwierig, das Publikum will nicht loslassen. Inzwischen geht ihre „Fare-Thee-Well“-Tour um ein halbes Jahr in die Verlängerung. Eine Rückschau in Etappen.

Text: Bernd Gürtler

Keine Ahnung wieso, aber ein gängiges Vorurteil lautet, die Ossis hätten in Vorwendezeiten nichts anderes als Ostmusik zu hören bekommen. Mag sein, dass die Bevölkerung vom eigenen Staat weggesperrt war hinter einem antifaschistischen Schutzwall aus Stacheldraht und Beton. Wer unbedingt wollte, fand dennoch Mittel und Wege mit der Welt da draußen eine Beziehung einzugehen. Kein noch so martialisches Grenzregime vermochte den Empfang westdeutscher Radiosender und Fernsehprogramme zu unterbinden. Über konspirative Tauschnetzwerke fanden meist illegal eingeschleuste Westschallplatten Verbreitung. Sehr wohl wissend, dass die eingemauerten Bürger bei Laune zu halten waren, verlegte die DDR mit zunehmender Regelmäßigkeit Westscheiben als Lizenzpressungen. Von Joan Baez zuerst 1966 eine Eins-zu-eins-Übernahme ihres Vanguard-Albums In Concert, Part 2. Ergänzt 1981 um eine für den DDR-Binnenmarkt handverlesene Werkschaukopplung jüngeren Vanguard-Materials, darunter das unvermeidliche „The Night They Drove Old Dixie Down“, Bob Dylans „Don’t Think Twice, It’s Alright“ oder Pete Seegers „Where Have All The Flowers Gone“. Also ja, Joan Baez ist ein Begriff gewesen im Deutschland der Arbeit und Bauern. Wie sehr, das sollte sich bei ihrem ersten Ostdeutschlandkonzert 1993 in Leipzig im Haus Auensee zeigen. Die Veranstaltung war ausverkauft, der Jubel überschwänglich. Für den Nachmittag direkt vor dem Auftritt bot die Plattenfirma Interviewtermine an. Selbstredend, dass die Gelegenheit von mir ergriffen wurde. Zumal mit Play Me Backwards eine aktuelle Veröffentlichung vorlag, die durchweg begeisterte.

Joan Baez, ein fantastisches neues Album! Ungeheuer frisch, sehr zeitgemäß. Streckenweise scheinen sogar Drumcomputer im Einsatz!?

Das sind keine Drumcomputer, das ist ein Percussionist, Marcos Suzano aus Brasilien. Wir ließen ihm freie Hand. Das Album sollte frisch, zeitgemäß und rhythmisch klingen.

Die Songs stammen teils wieder von Fremdautoren, teils von ihnen selbst. Wobei mehrere der eigenen Stücke zwei Co-Autoren verzeichnen, Wally Wilson und Kenny Greenberg. Wie prägend sind die beiden gewesen?

Sehr. Dank ihnen konnte ich überhaupt das erste Mal eine Co-Autorenschaft eingehen. Beim Songschreiben war ich bislang vollkommen auf mich gestellt. Wally und Kenny sind grundverschieden zu mir. Ein gefragter Auftragssongschreiber aus Nashville der eine, der andere ein texanischer Auftragsgitarrist mit Rockhintergrund. Zwei Südstaatler durch und durch und ich jemand von der Ostküste! Wir stritten um jedes Detail. Aber etwas Besseres konnte mir gar nicht passieren!

Inwiefern?

Meiner Musik hatte ich nie ernsthaft Beachtung geschenkt. Politik war mir wichtiger, was ich keineswegs bereue. Vor zwei, drei Jahren jedoch wurde mir bewusst, dass diese Stimmbänder keine Ewigkeit halten. Ich sagte mir: Besorg dir einen Manager, such dir eine anständige Plattenfirma. Stell die Politik hintenan und kümmer dich um deine Musik. Arbeite mit Co-Autoren, werde rhythmischer. Probiere alles, was dir nie geheuer erschien!

Dass ihr drei Jahrzehnte nach dem 1960 erschienenen und schlicht Joan Baez betitelten Debütalbum mit Anfang fünfzig Play Me Backwards gelang, darin liegt begründet, weshalb ein begeistertes Publikum weltweit ihr ein Kürzertreten heute mit Ende siebzig noch nicht erlauben will. Jenes Album vom Herbst 1992 setzt eine Zäsur, mit einem klaren Davor und einem Danach. Davor war Joan Baez die amerikanische Folkikone mit der gebirgsbachklaren Gesangsstimme, gleichermaßen geschätzt wie gefürchtet wegen ihres politischen Engagements. Aber auch schon bemüht um eine Verfeinerung ihrer rein akustischen Solodarbietung der ganz frühen Jahre. Joan Baez/5 überrascht mit einer Arie aus Heitor Villa-Lobos’ Bachianas Brasileiras. Es nutzt Arrangiertechniken der Orchestersinfonik. Beginnend mit Any Day Now wird der gesamte Fundus amerikanischer Roots Music angezapft, auch inzwischen elektrifizierte Spielweisen bis hin zu zeitgenössischen Rockformen. Nach dem Wechsel von Vanguard Records zu A&M folgt eine nahtlose Fortsetzung dessen, 1972 bei Come From The Shadows und darüber hinaus. Obschon auf eine eher konventionelle Weise. Zu Gehör gebracht wird in der Regel Joan Baez plus

Studioformation, nachjustiert höchstens entsprechend der neuesten Produktionsmethoden. Bis sie Ende der Achtzigerjahre auf Recently und Speaking Of Dreams, ähnlich wie in den Sechzigern bei Überlieferungen aus dem reichhaltigen Folkfundus, tagesaktuelle Rocksongs auf ihren sozialkritischen Gehalt hin abzuklopfen beginnt. Bei Peter Gabriels „Biko“ mag das vielleicht funktionieren. Schwieriger schon das „Brothers In Arms“ der Dire Straits. Regelrecht kurios George Michaels „Hand To Mouth“, bei dem sogar der synthetische Popsound des Originals nachempfunden wird. Play Me Backwards hingegen formuliert etwas dramatisch Neues. Einen Folk, ebenfalls leicht synthetisch von der Anmutung her und trotzdem kraftvoll akustisch. Wie geschaffen für die damals jungen Neunzigerjahre, vergleichbar höchstens mit Suzanne Vegas 99.9F° oder Richard Thompsons Mirror Blue. Leider fällt das eigene Gone From Danger von 1997 zurück in ausgetretene Pfade.

Richtig interessant wird es wieder 2003 mit dem schroffen Dark Chords On A Big Guitar. Erneut sind Interviewtermine im Angebot. Joan Baez nutzt die Chance zur Vertiefung ihrer Schwerpunktsetzung der zurückliegenden Dekade. Sie musste die Politik hintenanstellen und das Hauptaugenmerk auf die Musik legen, wenn ihre Karriere sich nicht in Wohlgefallen auflösen sollte, erläutert sie. „Ich hatte keinen Manager, keine Plattenfirma, keine Ahnung vom Musikgeschäft. Als ich anfing, brauchte ich nichts dergleichen. Konzertauditorien kannte ich nur ausverkauft bis auf den letzten Platz. Aber Zeiten ändern sich. Entweder man greift den Faden auf oder das Publikum kommt irgendwann nur noch aus Gründen der Nostalgie. Das galt es unbedingt zu vermeiden.“ Joan Baez sagt aber auch, sie werde den Eindruck nicht los, ihr Leben von vor dreißig Jahren wiederholen zu müssen angesichts „dieser brandgefährlichen Situation im Augenblick“. Mittlerweile nämlich ist George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten, ins Amt gemogelt wohl durch Wahlbetrug und nach 9/11 eine treibende Kraft hinter dem „War On Terror“; unter falschem Vorwand kämpfen US-Truppen plötzlich in Afghanistan und im Irak. Entsprechend vielsagend der Schlusspunkt unter Dark Chords On A Big Guitar mit „Christmas In Washington“, einer Beschwörung moralisch integrer Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte von Franklin D. Roosevelt bis Woody Guthrie. Auf der Tour zum Album mangelt es nicht an eindeutigen Zwischenkommentaren.

„Christmas In Washington“ stammt ursprünglich von Steve Earle, einem Country-Outlaw der Gegenwart, nie verlegen um scharfsinnige Kommentare gegen geistige Verstopfung. Er übernimmt die Produktion des nächsten Studioalbums, und diesmal ist bereits der Titelsong ein Statement. „Day After Tomorrow“, im Original von Tom Waits, liest sich wie der Brief eines Soldaten an seine Lieben zu Hause, hingekritzelt in der Hoffnung, auch den übernächsten Tag überleben zu dürfen. Bei einem weiteren Interview vor dem Auftritt 2008 im Tempodrom in Berlin bestand für mich die Möglichkeit, etwas tiefer in die Geschichte zu leuchten.

Joan Baez, Sie sind in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung engagiert gewesen, gegen den Krieg der USA in Vietnam aktiv geworden, für Ihre Überzeugungen sogar ins Gefängnis gegangen. Woher nahmen Sie die Kraft?

Darüber hatte ich nie nachgedacht, bis meine Mutter mich ins Gefängnis begleitete. Meine Eltern traten den Quäkern bei, als ich acht Jahre alt war und wir in Bagdad lebten. Mein Vater, Mitarbeiter der UNESCO, war für ein Jahr in den Irak geschickt worden. Die Quäker stellten das Leben über alles andere. Davon hörte ich, wenn ich abends den Unterhaltungen der Erwachsenen lauschte. Das sicher erklärt, weshalb ich meine Stimme als Geschenk betrachte und für bestimmte Zwecke einsetzen möchte. Würde ich sie einsetzen, um Reichtümer anzuhäufen, bereitete mir das Unbehagen.

Ihr einstiger Protegé und Lebensgefährte Bob Dylan flüchtete sich früh in den Elfenbeinturm der Kunst. Sie sind politisch aktiv geblieben, warum?

Zunächst, Bob Dylan ist der mit Abstand einflussreichste Künstler für mich. Er verfügt über die Gabe, Songs zu schreiben, die man nicht überdrüssig wird zu singen. An einem bestimmten Punkt schlug er eine andere Richtung ein. Seine Motive kenne ich nicht. Ich für meinen Teil spürte, dass ich auf meinem Weg bleiben musste.

Im August 1969 sind Sie beim Woodstock Festival aufgetreten, schwanger mit ihrem Sohn Gabriel. 1973 trennten Sie sich vom Kindsvater, dem Vietnam-Aktivisten David Harris. Heiraten wollten Sie danach nie wieder. Was bedeutet Ihnen Familie?

Gute Frage. Vermutlich war ich auf Familie nicht vorbereitet. Dafür hätte es Vorbilder gebraucht, was weder meine Eltern noch jemand in ihrem Bekanntenkreis sein konnte. Wir heirateten drei Monate bevor David wegen Wehrdienstverweigerung fünfzehn Monate ins Gefängnis musste. Unsere Ehe stand von Anfang an auf unstetem Grund. Später ergab sich die eine oder andere Begegnung, gepasst hat es nie.

Im Dezember 1972 sind Sie ins nordvietnamesische Hanoi gereist und in das von Richard Nixon angeordnete „Christmas Bombing“ geraten, die schwersten Luftschläge seit Kriegsbeginn. Tonbandaufzeichnungen der Ereignisse wurden auf der B-Seite Ihres Albums Where Are You Now, My Son? zu einer gespenstischen Klangkollage verarbeitet.

Wohlgemerkt, ich begab mich nicht nach Nordvietnam, um in den Bombenhagel zu geraten. Seit sechs Monaten hatte es damals keine Luftangriffe gegeben. Hingereist bin ich, um für amerikanische Kriegsgefangene zu singen, ihnen Post aus der Heimat zu überbringen, und fand mich im Luftschutzbunker wieder, meine Sterblichkeit vor Augen. Ich stand Todesängste aus!

Ergab sich je die Gelegenheit, mit Ihrem Sohn über Ihre Aktivitäten zu sprechen?

Ja, gerade neulich sagte ich: „Gabe, ich bedauere, dass ich nicht mehr für dich dagewesen bin.“ Er: „Ach, Mama, die Sechzigerjahre sind die wichtigste Dekade des vergangenen Jahrhunderts gewesen. Du bist dabei gewesen. Hast getan, was getan werden musste. Alles gut!“

War die Politik wirklich irgendwann in den Hintergrund gerückt? Falls doch, dann für einen so kurzen Augenblick, dass dies über die Gesamtlebensleistung hinweg höchstens mit der Lupe zu erkennen wäre. Egal ob die schwarze Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre, Vietnam oder später Lateinamerika, Amnesty International, Umweltschutz, die westdeutsche Friedensbewegung gegen eine Stationierung von Mittelstreckenraketen, Golfkrieg, LGBT-Rights, Balkankrieg, Occupy Wall Street, Barack Obama – Joan Baez ist zur Stelle. Sogar ein gewisses Verständnis für innerdeutsche Befindlichkeiten lässt sich entdecken. Sie covert „Kinder (Sind so kleine Hände)“ zu einem Zeitpunkt, als die Autorin des Stücks, die Ostberliner Songpoetin Bettina Wegner, aufgrund ihrer Unbeugsamkeit endgültig bei maßgeblichen DDR-Parteikadern in Ungnade fällt und ihrer Ausbürgerung in den Westen entgegensieht.

Nur heute eben kann Joan Baez auch phänomenale Musik bieten. Einen halbakustischen, individuell zugeschnittenen Folk, vorgetragen mit einer Autorität, die ihresgleichen sucht und ein Riesenpublikum fesselt, das auch der Botschaft begierig lauscht. Seit Joan Baez bei Play Me Backwards erstmals mit Co-Autoren arbeitete, schrieb sie keine weiteren Songs für sich selbst – bis jetzt. In der Tradition von „All the Weary Mothers Of The Earth (People’s Union #1)“ (ein Gewerkschaftslied im Stil von „Joe Hill“, das sie 1969 beim Woodstock-Festival zum Besten gab), „Prison Triology“ (über den US-Strafvollzug, angeregt durch Richard Harris), „China“ (zum Massaker auf dem Tiananmen-Platz) oder „Play Me Backwards“ (über Kindesmissbrauch), entstand 2018 „Nasty Man“. Ein Schmählied auf Donald Trump, nicht Bestandteil von Whistle Down The Wind, sondern kurzerhand via Youtube veröffentlicht. Da musste sie „nicht erst bei der New York Times anrufen“, um sich Gehör zu verschaffen“, sagt Joan Baez wiederum bei einem Interview vor ihrem Auftritt 2018 in der Zitadelle in Berlin. Womit sie sich die Zeit zu vertreiben gedenke, wenn demnächst vielleicht doch das letzte Konzert der „Fare-Thee-Well“-Tour gegeben sein sollte? Mit Nichtstun? Niemals! Vollständig aus der Öffentlichkeit zurückziehen werde sie sich nicht.

Wohl wahr, das wird schwierig mit der Altersteilzeit, so oder so.


Joan Baez * Foto: Jtgphoto, Wikipedia
Joan Baez * Foto: Jtgphoto, Wikipedia