Nachspiel

Nun ist sie tatsächlich eingetrudelt, die seit Tagen befürchtete Hassmail. Morddrohung inklusive – gehört ja heute zum guten Ton. Horst-Holger M., Ukulele spielender Obertonsänger aus dem Pfälzerwald, hatte in einem Interview mit dem Spulzheimer Anzeiger das Cello der Bratsche vorgezogen. – Geschmackssache? Ansichtssache? Jedem seine Sache? – Könnte man meinen, muss man aber nicht. 48 aufgescheuchte Streicherinnen beiderlei Geschlechts gründeten binnen Stunden ein Wutportal, um Horst-Holger die Uhr zu stellen. Putzigerweise spielt – bei näherem Hinsehen – gerade mal die Hälfte der Erzürnten Bratsche. Der Rest sind fraternisierende Trittbrettfahrer: dreizehn dilettierende Nyckelharpaspielerinnen, neun lausige Streichpsalteristen, ein von seinem Freund verlassener Glasorgelvirtuose und ein fernöstlicher Solocellist, der das Ganze falsch verstanden hat. Wie nun weiter? Polizeischutz wurde abgelehnt. Die Änderung der Identität ebenfalls. Horst-Holger hat sich – Adresse unbekannt – in einem Taubenschlag verschanzt, löffelt Büchsensuppen und hofft, dass der Shitstorm abflaut. Aber tief drin rumort es. Darf ich nie mehr eine Meinung äußern? Nie mehr einem Affen Zucker geben? Geschweige denn eine Sau rauslassen? Immer nur gute Miene machen, obwohl sich die Gänsehaut kräuselt? Cello hin, Bratsche her – von den ungeliebten Tenorbanjos, E-Pianos und Vierteltonflöten war ja noch gar nicht die Rede. Und überhaupt: Auf einem rumhacken könn’se. Aber warum bekomme ich keinerlei Rückendeckung? Wieso spuckt mir niemand Mut zu und pflichtet mir bei? Durchhalten, Horst-Holger, du hast ja Recht, Bratschen sind das Letzte, endlich sagt’s mal einer! Wir stehen hinter dir und werden erst ruhen, wenn sie alle verschimmelt sind … Denkste, Puppe! Null Solidarität! Kein Mitgefühl! Nichts! Nothing! Niente! Und plötzlich der eine Gedanke, der alle anderen lähmt: Vielleicht bin ich der Einzige weltweit? Vielleicht lieben alle Menschen Bratschen, nur ich nicht? Wäre ja möglich … Dann aber ist dieses hier nicht mehr mein Universum!