Zeichnung: Woody Guthrie Mit freundlicher Genehmigung von Woody Guthrie Publications |
Michael Sez
Im vergangenen Dezember führte Christine Käppeler für den Freitag ein Roundtable-Gespräch anlässlich der „Beerdigung“ der Musikzeitschrift Spex nach 38 Jahren. Am Tisch saßen ehemalige Chefredakteure und Autoren, darunter auch der frühere Chefredakteur Diedrich Diederichsen. Mit einer Aussage sprach er mir ganz aus dem Herzen, als in der Runde der Empfehlungs-Algorithmus von Spotify thematisiert wurde. Für Diederichsen gehe dieser „nur nach stumpfen musikalischen Kriterien vor und sucht stilistisch Verwandtes. Und das will ich doch gerade nicht. Im Gegenteil. Der entscheidende Parameter kommt nicht vor: Attitude.“ Worauf Uwe Viehmann, einer seiner Nachfolger, vehement widersprach. Das stimme „definitiv nicht. Der Algorithmus untersucht längst mehr als nur Genre-Ähnlichkeiten … Was hören dir ähnliche Menschen, zu welcher Tageszeit und an welchem Ort. Kollaboratives Filtern. Audioanalyse konkret. Aber auch Kontexte im Web an sich – Blogs, Texte, Metadaten etc. Du bist wahrscheinlich auch ein Härtefall. Der Endgegner des Algorithmus.“ Ich kann nur sagen, hier stehe ich an der Seite von Diederichsen. Aus gutem Grund. Und da bin ich gleich bei einem meiner Lieblingsthemen.
Facebook hat nach Recherchen der New York Times den Zugang zu privaten Nutzerdaten an mehr als hundertfünfzig Unternehmen weitergegeben. Zu den Firmen gehören Microsoft, Apple und Amazon. In der Sache geht es vor allem um die Verknüpfung von Facebook-Konten mit
anderen Diensten. Die Konzerne bekamen demnach Mailadressen und Telefonnummern von Hunderten Millionen Nutzern – ohne deren Zustimmung. Die Streaming-Anbieter Netflix und – genau – Spotify sollen sogar Zugriff auf private Nachrichten der Facebook-Nutzer gehabt
haben, wenn sie sich über Facebook bei Spotify angemeldet hatten. Facebook selbst verteidigt die Schnittstellen. Sie sollten Nutzern helfen, ihre Facebook-Freunde auf anderen
Plattformen zu finden. Nach dem New-York-Times-Bericht sah Facebook die anderen Dienste als Erweiterung seines eigenen und hatte deshalb kein Problem damit, Daten weiterzugeben.
Amazon ist ein Onlineversandhändler, der sich zum Ziel gesetzt hat, Geschäfte mit Menschen als Personal überflüssig zu machen. Unabhängig von den skandalösen Arbeitsbedingungen, für die jeder, der dort seine CDs oder Bücher bestellt, eine Mitverantwortung trägt, ist das Unternehmen aber auch eine gigantische Datenkrake. Katharina Nocun hat das jetzt in einem Selbstexperiment nachgewiesen, über das sie auf dem letztjährigen Chaos Communication Congress, kurz 35C3, im vergangenen Dezember in Leipzig einen Vortrag gehalten hat. Unter der Überschrift „Archäologische Studien im Datenmüll“ schilderte sie ihre Erfahrungen bei der Suche nach den Daten, die Amazon mit jedem Kauf- oder gar nur Suchklick erfasst. Ausgangspunkt war für sie Artikel 15 der Datenschutzgrundverordnung, wonach jeder Verbraucher eine Kopie seiner Daten anfordern kann. Für Nocun war es der Beginn einer „langen, intensiven Brieffreundschaft“. Denn erst als sie mit der Aufsichtsbehörde drohte, bekam sie eine CD-ROM mit Listen ihrer Suchanfragen und einer Excel-Tabelle mit dem Namen „Clickstream“. Eine Datenanalystin half Nocun bei der Entschlüsselung. Das Ergebnis: Zwischen August 2016 und Oktober 2017 waren 15.000 Einträge verzeichnet. Jeder Klick war mit Datum und Uhrzeit, genauem Standort und Internetanbieter versehen. Aber nicht nur das. Amazon merkte sich auch die Websites, auf denen sie davor und danach unterwegs war.
Dass Konzerne offensichtlich alles über uns wissen, beschrieb Katharina Nocun schon in ihrem Anfang 2018 veröffentlichten Buch Die Daten, die ich rief: Wie wir unsere Freiheit an Großkonzerne verkaufen. Amazon, Google und Facebook nutzen demnach unsere Daten, um Millionenprofite zu erzielen. Banken, Firmen und Behörden greifen auf Algorithmen zurück, um unsere Zukunft vorherzusagen. Und nicht nur die Geheimdienste tun alles, um uns zu überwachen und zu durchleuchten. Constanze Kurz schrieb Anfang Januar in ihrer FAZ-Kolumne über das iBorderCtrl-Projekt der EU, das eine lückenlose Automatisierung und Digitalisierung der Identitätskontrollen vorsieht, wonach man in Zukunft seine Daten ins Smartphone eingeben und bereithalten soll. „Schon seit einigen Monaten laufen dazu in der EU parallele Vorbereitungen: Biometrische Daten, Reiseinformationen und Personendaten sollen künftig in einem durchsuchbaren ‚gemeinsamen Identitätsspeicher‘ vorgehalten werden. Steht der Freiwillige dann leibhaftig an der Grenze, wird Stufe zwei gezündet: Mit tragbaren vernetzten Scannern prüft man die Körperdaten, die Reisedokumente und etwaige Visa.“
Schöne neue Welt. Alexa, spiel Georg Danzers „Wir werden alle überwacht“:
„Steht dauernd wer vor deinem Haus, / Mach dir nichts draus, mach dir nichts draus. / Wahrscheinlich bist du radikal, / Verflixt noch mal, verflixt noch mal. / Und machst du einen kleinen Schritt, / Die krieg’n das mit, die krieg’n das mit. / Frag nicht beleidigt, was das soll, / Es ist ja nur zu deinem Wohl. / Drum schlaf schön ein und gute Nacht, / Wir werden alle überwacht …“
... mehr im Heft. |