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Backkatalog   Ausgabe Nr. 2/2016   Internetartikel
 

Folker-Halbmast



John Trudell * Foto: Matika Wilbur

JOHN TRUDELL


15.2.1946, Omaha, Nebraska, USA
bis 8.12.2015, Santa Clara County, Kalifornien, USA


Seine Karriere als Poet und Musiker begann für den indianischen Widerstandskämpfer 1979, dem Jahr, in dem er in Washington die US-Flagge verbrannte. Ein Jahrzehnt davor war John Trudell Wortführer der Indians of all Tribes, die die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz besetzten, um eine indianische Universität einzurichten. Er startete den Inselsender Radio Free Alcatraz, bis die Staatsgewalt das alternative Projekt mit Gewalt beendete. Anschließend trat er der indianischen Widerstandsbewegung American Indian Movement (AIM) bei und wurde einer ihrer Galionsfiguren. Aus Protest gegen die skandalöse Verurteilung des AIM-Aktivisten Leonard Peltier verbrannte Trudell das Sternenbanner vor der Zentrale des FBI. In der folgenden Nacht fing sein Haus Feuer; seine schwangere Frau Tina, seine drei Kinder und seine Schwiegermutter verbrannten. Um sich vor einem Zusammenbruch zu retten, griff der Aktivist zu Papier und Stift und heilte sich durch Poesie. Nach einer Lesung in Los Angeles Anfang der Achtziger kam ein Indianer aus dem Publikum auf ihn zu und sagte, er hätte die Musik zu seinen Worten. Es war der Sänger und Gitarrist Jesse Ed Davis, ein Kiowa. Trudell und Davis produzierten ihr erstes Tape: Grafitti Man. Der Wortkünstler warf seine Zeilen auf den Folkrockteppich, den der Musiker vor ihm ausbreitete. Jesse Ed Davis hatte die richtigen Kontakte in der Branche, die ersten gemeinsamen Auftritte wurden gebucht – da starb er an einer Überdosis. Trudell schrieb weiter und stellte eine neue Truppe zusammen, bereichert durch den traditionellen indianischen Sänger Quilt Man. Er produzierte insgesamt vierzehn Alben, dreimal erhielt er den Native American Music Award. Seine Töne wurden von Mal zu Mal präziser, schärfer, radikaler immer auf die Werte zielend, auf die es ihm ankam: Liebe und Verantwortung. John Trudell starb an Krebs in seinem Haus im Santa Clara County in Nordkalifornien.

Claus Biegert



Andy M. Stewart

ANDY M. STEWART


8.9.1952 Alyth, Perthshire, Schottland
27.12.2015 Schottland


In den Siebziger-/Achtzigerjahren war er die Stimme der legendären schottischen Band Silly Wizard – und was für eine Stimme! Man konnte sich in der Wärme seines Gesangs ungeachtet der eigenen Nationalität geborgen und zu Hause fühlen. Schon lange vor dieser Zeit war Stewart (Gesang, Banjo) aktiv, zum Beispiel mit Dougie MacLean in einer Gruppe namens Puddock’s Well. Von Anfang an machte er keinen großen Unterschied zwischen schottischer und irischer Folklore, legte jedoch stets Wert auf das „M.“ im Namen, um sich deutlich von einem argen schottischen Schnulzensänger gleichen Vor- und Nachnamens abzugrenzen. Nach Silly Wizard trat er zumeist mit Manus Lunny oder Gerry O’Beirne im Duo auf, durchaus auch mit eigenen Songs wie dem traumhaften „The Valley Of Strathmore“. Besonders erfolgreich war er damit in den USA. Dann passierte das, wovor sich viele Profimusiker fürchten: Er baute gesundheitlich ab, konnte nicht mehr auftreten, und die Ersparnisse waren bald aufgebraucht. Hinzu kamen ärztliche Fehler, die 2012 in einer missglückten Operation an der Wirbelsäule gipfelten. Danach war er von der Brust ab gelähmt. Seine Schwester versuchte, ihm per Crowdfunding einen elektrischen Rollstuhl und eine behindertengerechte Wohnung zu verschaffen. Anfang Dezember 2015 jedoch erlitt er einen Schlaganfall, zu dem noch eine Lungenentzündung kam – zu viel für seinen gequälten Körper. Immerhin war es Andy M. Stewart noch vergönnt gewesen, 2012 die Aufnahme Silly Wizards in die Scots Trad Music Hall of Fame zu erleben. Als er Anfang der Achtziger den Song „The Rambling Rover“ schrieb, scheint es retrospektiv, als hätte er sein Ende vorausgesehen: „If you’re bent wi’ arthiritis, / Your bowels have got colitis, / You’ve gallopin’ bollockitis / And you’re thinkin’ it’s time you died, / If you’ve been a man o’ action, / Though you’re lying there in traction, / You will get some satisfaction / Thinkin’, ‘Jesus, at least I tried’.“

Mike Kamp



Franka Lampe * Foto: Manu Miethe

FRANKA LAMPE


16.1.1969 in Halle
bis 6.1.2016 in Insul


Nach langer schwerer Krankheit verstarb viel zu früh Franka Lampe, Pionierin des Klezmerrevivals in Deutschland. Sie begann als Autodidaktin, wurde Schülerin von Alan Bern und brachte es zu großer Meisterschaft an ihrem Instrument. Sie war eine der profiliertesten Akkordeonistinnen der deutschen Klezmer- und Balkanszene und gab ihr Wissen bereitwillig und mit großem pädagogischen Können in Workshops weiter. Mit ihren unterschiedlichen Ensembles wie La’om, Jerewan oder zuletzt Sher on a shier konzertierte sie in ganz Europa und darüber hinaus, die Liste ihrer musikalischen Partner auf Aufnahmen und bei Konzerten liest sich wie das Who’s who der nationalen und internationalen Klezmerszene. Sie gründete den Klezmerstammtisch in Berlin, war von Anfang an im Klezmerbund involviert, engagierte sich beim Balkantanzhaus in Berlin und unterstützte den Yiddish Summer in Weimar, sei es als Dozentin oder als Mitglied des Aufsichtsrats. Beim Musizieren rang sie um den Gesamtklang, sie suchte stets die Verbindung zu den Mitmusizierenden und bewahrte dabei ihre Neugier auf Neues und Ungewagtes. In die Tiefen der moldawischen oder rumänischen Musik einzutauchen, war ihr ebenso wenig fremd wie, Verbindungen der spätromantischen Musik Schostakowitschs zur jiddischen Musik herauszuarbeiten. Kurz: Franka Lampe war die gute Seele des Klezmer in Deutschland, deren Wirken weltweit Beachtung fand. Neben ihrer vielfältigen Konzert- und Unterrichtstätigkeit förderte sie junge Talente und verstand es, musikalische Begegnungen zu Freundschaften werden zu lassen, die auch über Hunderte von Kilometern über Jahre hinweg Bestand hielten. Franka Lampes Tod reißt eine große Lücke in die deutsche Klezmerszene, die noch lange Zeit benötigen wird, um sich von diesem Schock zu erholen.

Andrea Pancur



Hai Frankl

HAI FRANKL


14.2.1920, Bad Char­lotten­brunn, Schlesien
13.1.2016, Stocksund, Schweden


„Es muss 1932 oder 1933 gewesen sein, als ich als Junge auf der Burg Waldeck zum ersten Mal jemanden ein ausländisches Volkslied singen hörte“, erzählte Hai Frankl einmal. „Dieses Erlebnis hat damals einen unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht.“ Als Mitglied des Nerother Wandervogels war der junge Musikant es gewohnt, gemeinsam zu singen und zu musizieren, und so beschäftigte er sich fortan intensiv nicht nur mit den Liedern der bündischen Jugend, sondern auch mit der Folklore aus Südamerika, vom Balkan, aus Griechenland und Russland und vor allem mit der Liedkultur der Ostjuden. Als Sohn jüdischer Eltern, die von den Nazis ermordet wurden, gelang Hai (eigentlich: Heinrich) Frankl drei Tage vor Kriegsausbruch die Flucht nach Schweden. Dort schlug er sich zunächst als Aushilfsarbeiter und Gelegenheitsmusiker durch. Seine spätere Frau und künstlerische Partnerin Gunnel Wahlström alias Topsy lernte Frankl auf der Kunstgewerbeschule in Stockholm kennen. Er studierte damals Malerei, sie Grafik. Da beide sich für internationale Folklore interessierten, gründeten sie alsbald das Duo Hai & Topsy. Ihrem ohnehin vielfältig angelegten Repertoire fügten sie nun noch schwedisches Liedgut hinzu sowie die bacchantischen Werke des schwedischen Volksdichters Carl Michael Bellman. Nach ihren viel beachteten Auftritten während der legendären Festivals Chansons Folklore International auf Burg Waldeck in den Sechzigerjahren erhielten Hai & Topsy mehrere Plattenangebote sowie Konzertengagements in ganz Europa. Das Duo war nun endgültig zu einem festen und einflussreichen Bestandteil der internationalen Folkszene geworden. Das älteste Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck starb am 13. Januar in seiner Wahlheimat Schweden. Nur ungern gebe ich zu, dass Klezmerklänge und jiddische Lieder mich lange Zeit kaum erreichten. Ich empfand sie damals als anklagend und depressiv. Es waren Hai & Topsy, die mich während eines Konzertes in den Achtzigerjahren auf der Burg Waldeck nachdrücklich und überzeugend eines Besseren belehrten. Heute weiß ich den unermesslichen Reichtum der jiddischen Liedkultur sehr zu schätzen. Danke, Hai & Topsy, für die Begegnung mit euch und vor allem Dank für eure Lieder!

Kai Engelke



Hein Kröher * Foto: Ingo Nordhofen

HEIN KRÖHER


17.9.1927, Pirmasens
bis 14.2.2016, Pirmasens


Es ist gar nicht so einfach, über einen Menschen zu schreiben, den es augenscheinlich immer nur im Zweierpack gab. Hein (Heinrich) Kröher verbrachte nahezu sein gesamtes langes Leben gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Oss (Oskar). Hein und Oss Kröher waren keine Liedermacher im engeren Sinne, da sie keine eigenen Lieder schrieben. Dennoch prägten und beeinflussten sie die bundesdeutsche Liederszene ganz entscheidend. Die Sangesbrüder, die sich selbst und zu Recht „Volkssänger“ nannten, waren tief verwurzelt in den Traditionen der Jugendbewegung und des Wandervogels, und so war ihnen das Singen seit ihrer Kindheit ein inneres Bedürfnis. Die Kröhers trugen wesentlich dazu bei, deutsche Volkslieder vom damaligen Muff und vorherrschender Spießigkeit zu befreien, indem sie sich „um das wahrhaft volkstümliche, das demokratische Lied bemühten, lange bevor man von einer neuen Volksliedbewegung sprach“, schrieb der Musikjournalist Thomas Rothschild. Anfang der Sechzigerjahre waren Hein und Oss Kröher Mitbegründer der legendären Festivals auf Burg Waldeck im Hunsrück. Konzerttourneen durch ganz Europa und darüber hinaus gaben ihnen Gelegenheit, deutsches Liedgut im Ausland bekannt zu machen, und verfestigten zudem ihr Interesse auch an internationaler Folklore. Hein & Oss veröffentlichten eine ansehnliche Zahl an Tonträgern mit Soldatenliedern, Jägerliedern, Seemannsliedern, Arbeiterliedern, Freiheitsliedern, Partisanenliedern, Liedern aus aller Welt und zahlreichen weiteren Liedern demokratischen Ursprungs. Neben ihren LPs und CDs gibt eine Reihe von (Lieder-)Büchern Auskunft über die Intentionen ihres künstlerischen Schaffens. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bezeichnete Hein Kröher als „Ikone des politischen Volksgesangs“. 2011 gaben die bisher einzigen Ehrenmitglieder der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (ABW) auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz offiziell ihr letztes Konzert. Doch als die Waldeck 2014 ihr fünfzigjähriges Festivaljubiläum feierte, da ließen Hein & Oss es sich nicht nehmen, noch einmal auf die Bühne zu klettern und – das war ihnen immer wichtig – gemeinsam mit dem Publikum alte und neuere Lieder zu singen. Dass ich im vergangenen Sommer in Griechenland in kleiner Freundesrunde mit Hein feiern und singen durfte, betrachte ich als Geschenk.

Kai Engelke