Liebe Leserinnen und Leser,
„Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten.“ Wer hat das gesagt? Kurt Tucholsky? Oder Rosa Luxemburg? Ist eigentlich auch egal. Tatsache ist, der Spruch stimmt. Denn es stimmt auch, dass wirkliche Veränderungen nur durch den Druck der Gesellschaft erreicht werden können. Der Druck kommt immer von unten. Allerdings wäre es grob fahrlässig, daraus den Schluss zu ziehen, dass Wahlen Unsinn sind. Das allgemeine und freie Wahlrecht ist eines dieser Errungenschaften, die auf Druck von unten entstanden sind und um das uns viele Länder beneiden. Überdies denke ich, dass es schon ein Unterschied ist, wer uns regiert, ob nun in Berlin oder in Brüssel. Die Regierung schafft das Umfeld (oder eben auch nicht), in dem sich die Bürger engagieren können.
Was haben solche Gedanken in einer Zeitschrift zu suchen, die sich in erster Linie mit Musik beschäftigt? Ganz einfach, als Zeitschrift für nationale und internationale Musik mit Wurzeln mag der Folker schlicht und ergreifend keine Grenzen, wir ehren und würdigen jegliche Traditionen, die nicht unterdrücken oder diskriminieren. Mit anderen Worten: Wir brauchen eine Welt mit möglichst wenig Grenzen, wir brauchen ein offenes Europa. Deshalb sind uns die nationalistischen und rassistischen Gedanken und Handlungen, die momentan weltweit nicht nur unter Rechtspopulisten grassieren, zutiefst zuwider. Beispiel: Hätte man ausschließlich die Musikerinnen und Musiker im Vereinigten Königreich befragt, das nationalistische Brexit-Chaos wäre mit circa 95 Prozent abgelehnt worden. Aber die Welt ist nun mal nicht so, wie ich sie gerne hätte. Deshalb ist es auch enorm wichtig, am 26. Mai zur Europawahl zu gehen. Ja, es gibt genügend Kritikpunkte an dem, was in Brüssel passiert (und in Straßburg – was soll eigentlich der kostspielige Unsinn mit dem wandernden Parlament? Weg damit!). Die EU muss in erster Linie eine soziale, friedensstiftende und offene Union für die Menschen werden und keine Spielwiese für das Kapital. Aber der EU ist es auch seit mittlerweile über siebzig Jahren zu verdanken, dass die Regierungen in Europa miteinander reden und keine Bomben werfen. Ich habe in meinem Leben innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union keinen Krieg erleben müssen. Dafür bin ich unendlich dankbar und das will ich mir nicht von den Hassrednern, die es mittlerweile in jedem Land dieser Staatengemeinschaft gibt, kaputtmachen lassen. Daher meine Bitte an die Leserschaft: Gehen Sie am 26. Mai wählen! Und wählen Sie, wen Sie für richtig halten, solange Sie nicht sogenannten Alternativen Glauben schenken, die uns schnurstracks in die |
Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückführen. Ich jedenfalls möchte auch weiterhin Künstler aus allen Erdteilen hier willkommen heißen, in diesem Europa, in diesem Deutschland und in diesem Folker.
Übrigens, damit keine Missverständnisse aufkommen: Dieses Editorial spiegelt wie üblich meine persönliche Meinung wider, nicht zwangsläufig die der gesamten Redaktion. Der Folker als Projekt begreift sich zwar durchaus als politisch links stehend, aber unsere Einstellungen sind links von der Mitte so bunt wie die Musiken, über die wir berichten, auch in diesem Heft. In der 3/2019 finden Sie zugegebenermaßen mehr Globales als Song und Folk, aber das Pendel schlägt bekanntlich von Ausgabe zu Ausgabe anders aus. Und noch eine Änderung gilt es zu beachten: Der Verleger hat sich, wie bereits angedeutet, dafür entschieden, die Serviceseiten dieser Ausgabe erstmalig als Beilage zu drucken (siehe auch „Hausmitteilung“, Seite 14). Das wird auf jeden Fall die große Schar der Rezensionen-Fans freuen, denn durch den zusätzlichen Platz finden sie einen Teil der ins Netz verbannten Kurzrezensionen wieder im Heft. Ganz ohne Frage, das kostet mehr und daher können wir auch nicht garantieren, dass das so bleibt. Die beste Möglichkeit für Sie, diese Aktion zu unterstützen: Schließen Sie einfach ein (Geschenk-)Abo ab!
In diesem Sinn viel Vergnügen und Erkenntnisgewinn mit dem aktuellen Heft.
Ihr Folker-Herausgeber Mike Kamp |