Liebe Leserinnen und Leser,
sind Herausgeber eigentlich prinzipiell ziemlich mürrische Wesen? Wenn ich meine letzten Editorials Revue passieren lasse, dann drängt sich mir genau dieser Eindruck auf. Und ich dachte, ich wäre eigentlich ein einigermaßen positiv gestimmter Typ, der lieber ausgiebig lacht als unnötig zu flennen. Okay, wenn wir von der generellen politischen Situation reden, dann ist das etwas anderes. Da bleibt tatsächlich nur Verzweiflung oder ein unbändiger Zorn, wobei ich eher zu letzterem neige. Aber es geht im Editorial zuvorderst um den Folker und da wäre Defätismus nun wirklich nicht angebracht. Enttäuschung jedoch ist ab und zu schwer zu vermeiden. Schlimm genug, dass dem Folker die subjektiv gesehen verdiente Anerkennung im eigenen Sprachraum nur bedingt entgegengebracht wird. Das lässt sich an den Auflagezahlen ablesen. Aber international segeln wir komplett unter dem Radar der Szene. Nicht weil wir schlecht sind, sondern weil wir auf Deutsch erscheinen. Die englischen Kollegen von fRoots jedoch kassieren nach dem WOMEX-Award nun auch den Preis der Folk Alliance ein, weil sie nämlich von Tokio über London bis Buenos Aires gelesen werden können. Keine Frage, die Auszeichnungen haben sich die Jungs und Mädels um Ian Anderson verdient, aber das restliche Fähnlein der letzten verbliebenen Print-Aufrechten schaut erneut in die Röhre.
Dabei hätten wir alle, Folker inklusive, eine Anerkennung verdient. Gedruckte Fachzeitschriften bleiben nämlich auch in diesem Zeitalter wichtig, wo Millionen von Infos nur einen Klick entfernt schlummern. So stellte der Schriftsteller Salman Rushdie die völlig richtige Frage in einem Artikel in der 2018er-Pfingstausgabe der Süddeutschen Zeitung: „Wie bekämpft man die schlimmsten Seiten des Internets, dieses Paralleluniversums, in dem wichtige Informationen und totaler Müll mit scheinbar gleicher Autorität nebeneinanderstehen?“ Eine Antwort könnte lauten: Indem man sorgfältig und kompetent erstellten Fachzeitschriften die Rolle als Pfadfinder und Akzentsetzer im Datendschungel zugesteht und sie unterstützt und abonniert. Das ist schlicht eine Frage der Logik und der generellen Solidarität, die auf der Szene herrschen sollte. Sollte!
Genau das sollte (sollte!) auch gelten, wenn man mit dem Inhalt nicht immer zu hundert Prozent übereinstimmt. Kritik an einer Zeitschrift ist normal, denn auch ein Magazin mit relativ eng definiertem Interessentenkreis kann es nicht allen recht machen. Und manchmal bitten wir ja geradezu um Feedback, wie vor zwei Ausgaben in Sachen Kurzrezensionen auf der Folker-Website. Es gab eine Handvoll Reaktionen, und zwar genau in |
die von mir erwartete – und im Prinzip auch bevorzugte – Richtung: Bitte lasst die Kurzen im Heft! Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Es ist schlicht nicht möglich, seit drei Ausgaben mit einem größeren Schrifttyp zu arbeiten und gleichzeitig die Kurzen im Heft zu lassen, weil unsere Seitenzahl aufgrund der Heftung beschränkt ist. Wir versuchen uns also in einem kleinen Kompromiss, indem wir durch Themenblöcke ein paar der Kurzen wieder ins Heft holen – und den Rest weiter auf der Website lassen müssen. Generell wird sich der alte Zustand allerdings erst wiederherstellen lassen, wenn wir finanziell dazu in der Lage sind, den Folker in Sachen Seitenzahlen durch Bindung nach oben flexibel zu machen. Aber auch die Finanzen sind nicht zuletzt eine Frage der Solidarität.
Kennen Sie eigentlich das generische Maskulinum? In der anglophilen Welt ist das weniger interessant, da heißen Sie nämlich schlicht „Dear Reader“. Bei uns heißt das dann „Liebe Leserinnen und Leser“. Weil solche aus gendertechnischen Gründen verständlichen Doppelnennungen Texte häufig ein wenig unleserlich machen können, kommt in Journalismus und Literatur zumeist das generische Maskulinum ins Spiel, also zum Beispiel „Liebe Leser“. Das haben wir bislang so gehalten und wollen das vorerst auch nicht ändern, wo es der Lesbarkeit dient. Nur damit Sie Bescheid wissen – und im Zweifelsfall protestieren können.
Ihr Folker-Herausgeber Mike Kamp |