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Editorial

Lie­be Mu­sik­freun­din­nen und -freunde,

die Verbindung von Musik und Politik nie aus den Augen zu verlieren, ist dem Folker ein zentrales Anliegen, bei dem naturgemäß die Kritik an den bestehenden Verhältnissen im Vordergrund steht. Am Herzen liegt mir aber auch, Personen oder Gruppen vorzustellen, die mit ihren Aktionen unsere Zivilgesellschaft stärken, auch wenn sie keine Musiker sind. So zum Beispiel die pensionierte Heilpädagogin Irmela Mensah-Schramm, die seit über dreißig Jahren ausländerfeindliche, antisemitische und rechtsradikale politische Hassparolen mit Farbe übersprüht oder entsprechende Aufkleber entfernt. Die selbst ernannte Politputze, die das Haus nicht ohne Farbe, Lösungsmittel und einen Ceranfeldschaber verlässt, hat ihre Wanderausstellung „Hass vernichtet“ bundesweit gezeigt und gibt Workshops an Schulen, in denen sie Kindern beibringt, wie schnell Hassbotschaften verwandelt werden können. So kann zum Beispiel „Multikultur … Nein danke!“ zu „Multikultur: Ein Dank“ werden. Für ihre mutigen Aktionen wurde sie mit der Bundesverdienstmedaille und dem Göttinger Friedenspreis geehrt; Gerhard Schöne schrieb das Lied „Die couragierte Frau“ über die Aktivistin. Aber sie kassierte auch massive Ablehnung bis hin zu Gewalt- und Morddrohungen und musste sich immer wieder vor Gericht verantworten, wurde jedoch noch nie verurteilt. Auch ein in Berlin noch offenes Verfahren wegen Sachbeschädigung – Mensah-Schramm hatte „Merkel muss weg“ übersprüht und daraus „Merke! Hass weg!“ gemacht – scheint nach langen Auseinandersetzungen und Fürsprache des Regierenden Bürgermeisters vor der Einstellung zu stehen. Anfeindungen und gerichtlichen Auseinandersetzungen können sie aber ohnehin nicht aufhalten. „Ich beseitige Hassgraffitis, weil ich den Hass vernichten möchte. Das ist mein Kampf gegen rechts“, so Mensah-Schramm.
Pluralität und Teilhabe haben sich auch die in diesem Jahr von Hip-Hoppern in Berlin gegründete Partei Die Urbane, die zu den Bundestagswahlen antreten will, auf die Fahnen geschrieben. „Unsere klaren Ziele sind soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung und Selbstbestimmung aller Bürger*innen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung, Abstammung, Alter, Klasse, körperlichen Fähigkeiten oder Merkmalen“, so die Partei auf ihrer Website. Und weiter: „Wir stehen für ein soziales, solidarisch verbundenes Europa im globalen Kontext einer friedvollen und harmonischen Gesellschaft unabhängig von Kulturen oder Nationen. Europa darf keine Festung sein, an deren Grenzen Hilfsbedürftige abgewiesen werden.“ Das gut dreißig Seiten lange vorläufige Parteiprogramm, das zu
Mike Kamp * Foto: Ingo Nordhofen Themen wie Zusammenleben – Deutschland & global, Mensch und Umwelt, Medien und Digitales, Bildung, Familie oder Frieden Stellung bezieht, kann auf die-urbane.de eingesehen werden. Bleibt zu hoffen, dass Die Urbane sich nicht als Eintagsfliege erweist wie die Piraten, die die Grünen erschreckt kurzzeitig als Konkurrenz ausgemacht hatten, denn die Hip-Hopper könnten Unruhe in die etablierte Ökopartei und neue Dynamik in die gesamte Parteienlandschaft bringen.
Politische Aspekte finden Sie auch in der Themenauswahl unserer aktuellen Ausgabe: in der Titelgeschichte über den eigenwilligen, aber umtriebigen Avantgardisten Rachid Taha, in dem Artikel über die griechische Sängerin Savina Yannatou, deren aktuelles Album die vergangene und gegenwärtige Multikulturalität Thessalonikis widerspiegelt, oder im Bericht über 150 Jahre Kanada, in dem es auch um die Inuit und die First Nations, die indigenen Völker des Landes geht – und natürlich in der Kolumne von Michael Kleff sowie im Gastspiel, in dem dieses Mal Jan Köpke über den Record Store Day schreibt.
Bisher haben wir nur sporadisch über neue Filme aus den Bereichen Folk, Lied und Weltmusik berichtet. Bereits mit Heft 3 ist das anders geworden, unser Autor Michael Freerix stellt nun regelmäßig neue Filme in der „Szene“ vor und ist über filme@folker.de erreichbar.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und Stöbern in unserer Juli/August-Ausgabe.



Ihre Folker-Chefredakteurin
Sabine Froese








Post aus dem Beirat

Gudrun Walther Ich gebe es zu, auch ich fröne hin und wieder gerne dem feierabendlichen Seriengucken. Eine schöne Zeit hatte ich jüngst mit der ersten Staffel von Nashville, in der es ein paar wirklich tolle
Songs zu hören gab. Da das Musikbusiness im Zentrum der Handlung stand, fielen entsprechend oft Klischeesätze à la „Baby, ich bring dich ganz groß raus“. Es ging um Labels, die Macht von Managern, Vertragsunterzeichnungen, das ganz große Geld.
Wie schön, denkt man da auf dem heimischen Sofa, dass unser kuscheliges Nischenthema Folkmusik so weit weg ist von diesem Zirkus. Aber das war gar nicht immer so. Noch vor dreißig Jahren gab es Folkbands mit Plattenvertrag, denen ein Label Geld bezahlte, damit die Musiker ins Tonstudio gehen und dort mit einem Produzenten an ihrer Musik arbeiten konnten. Dann wurde von der Grafikabteilung das Cover gestaltet, und schließlich übernahm die PR-Abteilung die Werbung. Die Musiker machten … – Musik! Und heute? Man fängt damit an, dass man ein Filmchen dreht, mit dem man sich auf einem Crowdfundingportal vorstellt, um das Kapital für ein neues Album zusammenzubekommen. Dann geht man – natürlich ohne Produzent, viel zu teuer – ins Studio, welches oft genug ein umfunktioniertes Wohnzimmer ist, und nimmt seine Musik auf. Wer kann, macht das selbst. Danach sucht man sich jemanden, der die Aufnahmen mischt, während man selbst das Cover gestaltet, sich ein billiges Presswerk sucht und sich schon mal an die (Selbst-)Vermarktung macht. Handsignierte CDs für die Crowdfunder, Presseexemplare an die paar letzten Radiosender, die sich eventuell noch für so etwas interessieren. Und natürlich Twitter, Facebook, Instagram – posten, posten, posten.
Kaum ein Thema empfinde ich so ambivalent, denn die große Chance, die wir heute bekommen, ist, sich so treu zu bleiben wie kaum jemals zuvor. Kein Manager versucht Einfluss zu nehmen auf Texte, Performance, Klamotten … Pure Musik, ungefiltert, und wenn man Glück hat, stellt sich auch Erfolg ein. Andererseits schwingt heutzutage immer ein wenig mit, dass es die Erfolglosen nicht hartnäckig genug versucht haben.
Nur Musik zu machen, das kann sich heute kein Folkmusiker mehr leisten. Ist es da verwunderlich, dass ich mich dabei ertappe, wie ich träumerisch auf die Mattscheibe schaue, als ein Manager einem talentierten Songwriter zuraunt: „Wir bringen dich ganz groß raus!“?

Gudrun Walther