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Backkatalog   Ausgabe Nr. 2/2019   Internetartikel




»Die Lösung aus der Krise kann nur eine kulturelle sein.«
Wenzel * Foto: Michael Pohl

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Aktuelles Album:

Wo liegt das Ende dieser Welt
(Matrosenblau, 2018)


Cover Wo liegt das Ende dieser Welt


Wenzel

Die Kraft der Sprache

Die Liste seiner Auszeichnungen ist beeindruckend: Deutscher Liederpreis, Deutscher Folkpreis, Preis der deutschen Schallplattenkritik, Deutscher Kleinkunstpreis, Deutscher Kabarettpreis, immer wieder Platz eins der Liederbestenliste – über mangelnde Anerkennung kann Hans-Eckhart Wenzel nicht klagen. Doch auch sein neues Album Wo liegt das Ende dieser Welt wird wohl wieder vor allem von denen gefeiert werden, die ihn ohnehin kennen und lieben. Und vor allem im Westen Deutschlands werden Journalisten weiter ihren Lesern erklären, wer dieser Wenzel überhaupt ist. Zu eigensinnig und unangepasst für die Medien und den breiten Erfolg, tut der 63-Jährige einfach weiter, was er tun muss. Er ist sich treu und bleibt eine Randfigur – im positiven Sinne.

Text: Guido Diesing (Interview)

Gleich im ersten Lied deines neuen Albums steht der Wunsch, „dass wir einsam nicht verschwinden, sondern uns zusammenfinden“. Der gemeinschaftsbildende Aspekt von Musik ist dir ein wichtiges Anliegen?

Wir sind soziale Wesen und brauchen einander. In einer Gruppe, mit der man sich versteht, wird man wacher und klüger und kann Dinge denken, die man einzeln nie denken kann. Wenn der Mensch sich auf seinen Egoismus beruft – und in einer solchen Zeit leben wir gerade –, dann verliert er einen großen Kern seines Wesens. Das ist schon etwas Zentrales.

Im „Havelberger Abendlied“ beschwörst du auf liebevoll melancholische Weise eine Gemeinschaft von Geistesverwandten und beklagst: „Immer kleiner wird die Runde.“ Was ist es, was da verloren geht?

Es ist einfach so, dass viele meiner Lehrer, die an der Hochschule, im Musikgeschäft oder im Theater für mich wichtige Personen waren, tot sind. Jetzt hab ich oft mit Leuten zu tun, die strohdumm, aber in hohe Positionen aufgestiegen sind. Man merkt, dass die Blödheit in diesem Land in den letzten Jahren extrem gewachsen ist, sonst würde man nicht solche Politik und Reaktionen auf Politik hervorrufen können, wie es meinetwegen durch die AfD passiert. Die Gegenkräfte werden immer geringer. Ich halte das Bild fest von einem Häuflein, das vielleicht verschwindet, so wie diese Erde verschwindet, wenn man nicht aufpasst.

Wo siehst du Lösungsansätze?

Ich glaube, es gibt keine politische Lösung mehr. Es gibt auch keine Politik mehr. Die Wirtschaft hat sich die Macht genommen, die Politik ist nur noch Bürokratie, und wenn Leute bestimmte politische Meinungen haben, können sie sich nicht mehr miteinander unterhalten. Sie schreien sich nur noch an und beharren auf ihren Positionen. Also kann für mich die Lösung aus der Krise nur eine kulturelle sein. Man muss die Kultur, miteinander umzugehen, ändern und die politischen Begriffe weglassen. Und dafür sind Kunst, Kultur, Lied, alle Dinge, die mit Tradition zu tun haben, unglaublich wichtig. Auch in der deutschen Sprache. Wir leben in einer kolonialen Struktur, wo Melodie und Form aus dem Angelsächsischen definiert sind. Wir haben aber eine eigene Kultur, die offensiv gehandhabt werden muss und die nicht altbacken ist. Nur weil Heino in Deutsch singt, ist die deutsche Sprache ja nicht schlecht. Ich halte das Lied für eine Form, die in der nächsten Zeit sehr an Gewicht und Kraft gewinnen wird, und glaube, dass man sie braucht, um Utopien für die Gesellschaft zu denken.

Das klingt überraschend optimistisch …

Ich bin Pessimist, aber hoffe darauf, dass all das, was ich befürchte, nicht eintritt. Also bin ich eigentlich Optimist. Sonst würde man sich ja umbringen, man würde aufgeben. Aber natürlich muss man solange, wie man kann, gegen die Unbill der Welt ankämpfen und gegen das, was man für schlecht, dreckig und gemein hält. Dafür ist man auf der Welt. Auch das gehört dazu, dass man ein gesellschaftliches Wesen ist: dass man sich nicht nur für sein eigenes Glück verantwortlich fühlt.

In „Kein Land in Sicht“ vergleichst du den Zustand der Gesellschaft mit einem Schiff auf hoher See und singst: „Hoffen wir auf einen Orkan, der den ganzen Scheiß verschlingt.“ Hast du keine Angst vor Zustimmung von der falschen Seite? Den Satz würden doch auch AfD-Anhänger unterschreiben.

Na ja, das Lied ist ein Shanty, ein Spiel mit einer Seemannsform. Wenn’s denen nicht mehr gefällt an Bord, dann sagen sie: „Hoffentlich wird der ganze Dreck hier weggefegt!“ Das ist eine Haltung, die man nicht nur der AfD und den Nazis überlassen sollte. Das ist etwas, das zum linken Protest genauso dazugehört.

Aber ist der Gedanke an Veränderung heute noch mit der Hoffnung auf etwas Besseres verbunden? Beherrscht uns nicht eher die Sorge, dass es noch schlimmer wird?

Wir können die Zukunft nicht mehr als etwas Rosiges denken. Das konnten wir früher. Jetzt denken wir sie uns als ramponierte Gegenwart. Und wenn wir eine Utopie haben, dann besteht sie darin, dass es nicht ganz so schlimm kommt, wie wir ahnen, dass es kommen wird. Wir halten das Unerwartete nicht mehr für möglich. Im ersten Lied, „An diesem Abend kannten wir uns nicht“, ist nicht umsonst das letzte Wort „Utopie“.

Geht es da nicht eher um das Verlieben als Utopie?

Um das Unerwartete. Es beschreibt die Situation, dass man irgendjemanden plötzlich, ohne dass man es geplant hat, kennenlernt und ganz froh ist. Das Errettende muss aber nicht immer die Liebe sein. Es kann ein Gedanke, ein Bild oder eine politische Situation sein, die plötzlich kommt. Das können wir nicht berechnen. Wir müssen die Unberechenbarkeit des Lebens wieder ernst nehmen. Das Utopische kommt plötzlich, unerwartet, überwältigt uns und macht uns auf einmal ganz groß.

Finden sich auf dem Album deshalb so viele Fragen? Um beim Hörer unerwartete Gedanken auszulösen?

Das ist es zum einen, zum anderen leben wir in einer Zeit, wo alle möglichen Leute Antworten haben, ohne dass überhaupt Fragen gestellt worden sind. Eine Frage stelle ich jemandem und bin erpicht auf seine Antwort. Dieses Dialogische ist uns verloren gegangen. Eine Frage bleibt immer offen, ist keine Behauptung. Das hängt damit zusammen, was ich vorhin meinte: dass wir nur eine kulturelle Lösung finden werden in den nächsten Jahren. Eine Kultur des Dialogs, der Sprache, der Fragen.

Du sprichst die Sprache an. Manche deiner Texte strahlen eine etwas altmodische Poesie aus.

Ich bin sehr verwurzelt in der deutschen Literatur. Da gibt es Sprachebenen, die sehr kraftvoll sind. Deswegen wird es vielleicht manchmal altmodisch, aber das gehört zu dieser Sprache. Ich will sie muskulös machen und trotzdem nicht kompliziert. Sie muss tief und einfach sein, das ist die große Kunst. Manchmal glückt’s und manchmal nicht.

Deine Lieder wirken oft entwaffnend ehrlich. Liegt es dir vom Typ her nahe, dich dem Publikum zu öffnen?

Ich glaube, das ist der Kern der Poesie. Und auch der Kern der Musik. Man merkt das Falsche. Wenn man sich selbst nicht belügt, dann belügt man auch die Leute nicht.

Auch bei ernsten Themen sind deine Lieder häufig leicht und mit Latin-Einflüssen fast beschwingt. Sind das bewusst gesetzte Gegensätze, um ein komplexes Ganzes zu schaffen?

Früher hätte man gesagt, es gibt eine dialektische Spannung zwischen Text und Musik. Manchmal gelingt es der Musik, die Traurigkeit, die im Text steht, erträglich zu machen, weil man sie sonst nicht formulieren könnte, weil sie zu ausweglos wäre.

Wie wichtig sind dir die vielen Preise und Ehrungen, die dir schon zuteilgeworden sind?

Na ja, wenn ich sagen würde, es ist nicht wichtig, wäre es gelogen. Es ändert einen nicht, aber es hilft, wahrgenommen zu werden. In der medialen Welt existiere ich kaum. Das ist auch nicht weiter schlimm, das war ich auch aus der DDR gewohnt. Ich war sozusagen immer am Rand, und da kann ich ganz gut existieren. Ich mache das nicht wegen der Preise, eher wegen der Momente, wenn man in einem Konzert merkt, dass die Leute auf einmal mit einem offenen Gesicht im Saal stehen und kraftvoller sind, als sie vorher waren. Das sind große Momente, wo man auch Mut schöpft, wenn man selbst im Zweifel steckt.