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Backkatalog   Ausgabe Nr. 6/2004   Internetartikel
Malbrook

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Discographie


solo:
Das Geisterschiff
(ARTyCHOKE, 1995)

Malbrook
(Westpark, 2004)


mit Spillwark:
Hamswest
(Laika, 1994)

Sien Kurs
(Laika, 1996)


mit Jams:
Fisch
(John Silver, 1997)


mit Veranda:
Veranda
(Loewenzahn Verlag/BuschFunk, 2000)


mit Polkaholix:
Denkste!
(Loewenzahn Verlag/BuschFunk, 2003)



Unter Tanzteufeln

Wolfgang Meyering & Malbrook

"Dat löppt sick allens taurecht!"

Wolfgang Meyerings mit atavistischer Symbolik spielende Folk-Taskforce „Malbrook“ verwendet, besetzt mit Musikern aus Norddeutschland und Schweden, ausschließlich Texte in niederdeutscher Sprache. Dabei stellt der an der holländischen Grenze geborene und in Berlin lebende Meyering seine Themen, die teilweise aus der Zeit des Mittelalters herrühren, in einen durchaus aktuellen, gegenwartsbezogenen Kontext.

Text: Carina Prange

Vielen mag Meyering als Mitglied der Ostberliner Folkband Jams und der ostfriesischen Spillwalk bekannt sein, oder auch als Mitarbeiter des tff Rudolstadt, wo er seit vielen Jahren nun schon den Instrumentenschwerpunkt betreut. Sein Projekt „Malbrook“ jedenfalls, das auf dergleichen Nährboden ganz natürlich zu gedeihen scheint, ist ihm ganz in Fleisch und Blut übergegangen.

Was genau bedeutet denn nun „Malbrook“, der Titel deines aktuellen Albums?

Zunächst – auf der CD ist vorne ein Faun drauf. Man könnte im ersten Moment glauben, es sei ein Teufel, aber es ist ein Faun: Ganz so martialisch sind wir nun doch nicht! Es liegt daran, dass „Malbrook“ in einer sinngemäßen Übersetzung „Tanzteufel“ bedeutet. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Tollhose“, für einen wie wild herumtanzenden und springenden Menschen: „mal“ ist „verrückt“ oder „toll“ sein, und „Brook“ ist ein Begriff für Hose. Gut, man sagt auch „Büx“, aber direkt an der Grenze zu Holland gibt es auch den Begriff „Brook“. Und deswegen: „Malbrook“.

Zum Wort selbst existiert noch ein weiterer Hintergrund: Ein sehr verbreitetes Tanzstück, das es überall in Nordeuropa gibt. Es steht im Bezug zum Duke of Marlborough, der den Spitznamen „Malbrook“ hatte. Eben diese Verwandtschaft zu allen Gebieten in Nordeuropa fand ich gut: So ist der Name der Band synonym zu sehen für das Projekt selbst, weil er sich eben darauf bezieht, dass es Verwandtschaften und Ähnlichkeiten zwischen Schweden, Norwegen, Dänemark und Norddeutschland und zum Teil auch zu England gibt.

Dein Projekt verbindet Musik und Sprache skandinavischer Länder mit der niederdeutschen mittelalterlichen Volksmusik. Inwieweit hast du für dieses Projekt Sprachforschung betrieben bzw. den geschichtlichen Hintergrund durchforstet?

Ich bin sehr interessiert an Sprachen. Das hat damit angefangen, dass ich nachgeforscht habe, was Niederdeutsch eigentlich für eine Sprache ist; wo sie herkommt, was viele Leute ja auch gar nicht wissen: Das Niedersächsische oder Niederdeutsche ist eine Sprache, die aus dem Altsächsischen entstanden ist. Das hat nichts mit dem Sächsischen zu tun, an das man dabei heute denkt, das ist nämlich mit dem thüringischer Dialekt verwandt.

Im Mittelalter war Niederdeutsch oder Plattdeutsch, wie man umgangssprachlich sagt, Umgangs- und Handelssprache, d.h. im Hansekontor in England wurde Niederdeutsch gesprochen ebenso wie in Nowgorod, in Bergen, in Stockholm, in Riga, Tallinn und allen größeren Handelsstädten im Ost- und Nordseeraum. In Skandinavien findet man extrem viele plattdeutsche Lehnwörter, im Reichsschwedisch beispielsweise ca. 40% aller Wörter. Malbrook knüpft an diese alten Verbindungen an. Aber es gab nie so etwas wie eine einheitliche Schriftsprache. Das so genannte „lübscher“ Niederdeutsch [Lübeck = Königin der Hanse], das so etwas wie eine einheitliche Schriftsprache war, hat sich nie hundertprozentig durchgesetzt. Der Höhepunkt der niederdeutschen Sprache verklingt mit dem 16. bzw. Anfang des 17. Jahrhunderts. Danach spielte diese Sprache nicht mehr die ganz große Rolle, war nur noch eine von vielen Umgangssprachen.

Bist du mit dem Plattdeutschen denn noch vertraut gewesen oder hast du es selbst erst lernen müssen? Ist der Erhalt dieses alten Dialektes, der Sprachtradition auch eines deiner Ziele?

Ich bin da nicht missionarisch. Aber ich finde es schon wichtig – es ist ein Stück meiner eigenen Kultur, ein großer Teil sogar. Zu Hause spreche ich mit meiner Mutter nur Plattdeutsch, gar kein Hochdeutsch; auch mit meiner Tochter spreche ich Platt. Sie selbst spricht es nicht, soll es aber zumindest verstehen lernen.

Bei mir war es früher so, dass mit uns Kindern stets Hochdeutsch gesprochen wurde. Wir sollten das lernen, damit wir „später in der Schule“ keine Probleme hätten. Aber wir haben trotzdem beide Sprachen gelernt. Meine Mutter dagegen ist mit Plattdeutsch als erster Muttersprache aufgewachsen, musste Hochdeutsch wie eine Fremdsprache lernen. Auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer war Plattdeutsch zu sprechen damals sogar verboten: Das wurde unmittelbar sanktioniert.

Ist das Plattdeutsche nicht im Rückzug begriffen?

Bei uns an der holländischen Grenze, in Emden und der ganzen Region, ist Plattdeutsch noch sehr verbreitet: In der Familie, mit Nachbarn, mit Freunden spricht man Plattdeutsch … quasi mit jedem, von dem man weiß, dass er es auch spricht! Die Sache lebt also, ist noch längst nicht ausgestorben.

Je näher man zur holländischen Grenze oder zur Küste kommt, gerade in Ostfriesland in den Dörfern, desto mehr Leute verwenden untereinander ganz selbstverständlich Plattdeutsch. Dort ist es inzwischen so, dass versucht wird, die Sprache zu fördern, indem man sie etwa in den Kindergärten benutzt: Die Kindergärtnerinnen sprechen mit den Kindern Platt, singen plattdeutsche Lieder! Es gibt in Ostfriesland eine ganze Reihe von Familien, die wieder Wert darauf legen, zu Hause Plattdeutsch zu sprechen.

Erhebt „Malbrook“ Anspruch auf Authentizität oder, anders gesagt, wie authentisch wollt und könnt ihr in musikalischer und inhaltlicher Hinsicht sein?

Also, wir machen keine „Alte Musik“! Wir würden uns nie in die Kirche stellen und behaupten, genauso hätte das im Mittelalter geklungen. Im Gegenteil, wir versuchen vielmehr, diesen Musikstil in das Heute zu transportieren. Es soll überhaupt nichts Museales sein, sondern Musik, die einfach Spaß macht. Durchaus mit mittelalterlicher Atmosphäre, was zu einem guten Teil an den Melodien liegt, die wir verwenden: Ich habe bewusst viele Sachen in Kirchentonleitern geschrieben.

Diese Tonalität war im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit noch sehr präsent, ist dann aber von der Dur-Moll-Tonalität abgelöst worden, wobei auch ein Stück der Klanglichkeit verloren ging. Das, was viele Leute – so glaube ich – an irischer oder skandinavischer Musik u.a. faszinierend finden, ist genau diese Tonalität, die es in Mitteleuropa seit dem Barock kaum mehr gibt.

Das merke ich immer wieder, wenn ich z.B. mit den Kollegen aus Schweden zusammenspiele: Da scheinen ganz viele Melodien zwar in Dur zu stehen, aber es ist nicht eigentlich Dur, sondern ganz oft die mixolydische Kirchentonleiter; also mit einer kleinen Sept anstelle des natürlichen Leittons. Das gibt der Musik einen ganz eigenen Charakter. Diese Tonleitern findet man aber eben auch in Norddeutschland in älteren Traditionsschichten.

Das macht u.a. den Reiz dieser Musik aus, daran knüpfe ich mit der Malbrook-CD wieder an: Ich versuche, die Klanglichkeiten mit den Instrumenten auszuschöpfen, die ich verwende. Und außerdem Instrumente zu nutzen, die nicht so bekannt sind, aber einen sehr rauen, spannenden Klang haben. Authentizität ist also nicht ein primäres Merkmal. Es geht darum, Musik zu machen, die man auch in einem Kontext hören oder spielen kann, der gar nicht traditionell ist: In der Disco oder was weiß ich wo …

Wie sehr spielt Heimatverbundenheit in deinen musikalischen Interessen eine Rolle? Bildet die Küste, das Meer eine wichtige Inspirationsquelle für dich?

Heimat oder der „Bezug zu etwas“ ist für mich unheimlich wichtig. Das ist für mich eine Basis, von der aus ich agiere: Ich definiere mich zum großen Teil darüber, wo ich herkomme. Jeder Mensch tut das und das ist auch wichtig! Das mag jetzt vielleicht ein bisschen pathetisch klingen, aber wie heißt es so schön: „Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht, wohin er geht!“ In einer Zeit, die sich immer mehr in dieses globale Denken hinein bewegt, finde ich das sogar noch viel wichtiger. Ich habe das Gefühl, dass ich beileibe nicht der Einzige bin, dem es so geht: Regionale Kultur hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren einen Boom erlebt, weil die Menschen merken, dass alles immer austauschbarer wird … man kann sich an nichts mehr festhalten! Meiner Ansicht nach ist es aber unheimlich wichtig, dass man das kann: was Sprache anbetrifft, was Traditionen anbetrifft. Mit „um die Vierzig“ interessiert man sich sicher stärker dafür als mit zwanzig; solche Aspekte erhalten mehr Bedeutung. Insofern empfinde ich Heimat oder regionale Zugehörigkeit als einen ganz entscheidenden Beitrag zum eigenen Selbstverständnis, zum eigenen täglichen Leben.

Gibt es denn hierzulande überhaupt entsprechende musikalische Quellen?

Eine traditionelle Melodie, die aufgeschrieben ist, ist ja eigentlich schon fast tot. Weil die Art und Weise, wie man sie spielte, meist nicht aufgeschrieben wurde. Ich versuche, diese Musik wiederzubeleben. Es geht mir ganz oft so, dass Leute sagen, ach, deutsche Musik sei doch sooo langweilig! Das stimmt nicht. Wenn ich mir beispielsweise die Dänen ansehe – deren Musik der norddeutschen sehr, sehr ähnlich ist –, was die aus der Musik machen: Das hat heute noch Bestand, hat eine Kraft und Ehrlichkeit, einen Spaß, der jungen Leuten heute noch was sagt. Und wir Deutschen haben es nur bis heute nicht geschafft, diese Musik wieder zum Leben zu erwecken und sie so zu spielen, dass sie in unseren heutigen Kontext passt und auch angenommen wird.

In Deutschland Volksmusik zu machen, was bedeutet das also?

Man hat in Deutschland natürlich immer das Problem, dass die traditionelle deutsche Musik, die Volksmusik und so weiter, durch die Nazizeit sehr in Verruf geraten ist. Viele haben verständlicherweise noch ein sehr gespaltenes Verhältnis dazu, auch zur Tradition überhaupt. Das ist ziemlich furchtbar, denn die Tradition kann ja nichts dafür, dass die Nazis da gewesen sind. Doch viele lehnen das einfach ab.

Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb andere traditionelle Musik in Deutschland wahnsinnig populär ist, wie irische und schottische Musik oder Klezmer: Ich habe das Gefühl das viele auf der Suche nach einer Tradition für sich sind. Weil sie sich für ihre eigene Tradition ein Stückweit schämen, suchen sie sich eine andere, mit der sie sich dann voll identifizieren. Vielleicht noch mehr identifizieren, als es die Leute tun, deren Tradition es ist. Es gibt anderswo kaum Musiker, die z.B. irische Musik spielen, die so fanatisch und auch überakribisch sein können, wie das bei deutschen manchmal der Fall ist. Man kann das sicher nicht generalisieren, aber es gibt sie: Die machen daraus einen richtigen Kult, was ich ziemlich gruselig finde.

Ich habe mich deshalb mit Leuten zusammengetan, die finden, dass es in unserer eigenen Tradition noch viel zu entdecken gibt. Wir alle haben ein großes Faible für die eigene Kultur, für die eigene Musik. Aber durchaus im Austausch mit den Nachbarn, denn Tradition war nie statisch, sie muss sich weiterentwickeln, um nicht zu sterben. Und für mich ist es fließend … Meine Mutter hat immer gesagt: „Dat löppt sick allens taurecht!“ Was so viel heißt, wie: „Das läuft schon alles in die richtigen Bahnen!“


Wolfgang Meyering
Wolfgang Meyering