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Backkatalog   Ausgabe Nr. 1/2019   Internetartikel
»Das Leben ist im Grunde genommen ein riesiger Friedhof, der sich ständig erneuert.«
Dreiviertelblut-Sebastian Horn  und Gerd Baumann * Foto: Bert Heinzlmeier

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Aktuelles Album:

Diskothek Maria Elend
(Millaphon, 2018)


Cover Diskothek Maria Elend


Dreiviertelblut

Tanz mit dem Tod

Manchmal stellt sich Erfolg gerade dort ein, wo man am wenigsten mit ihm rechnet und ihn schon gar nicht geplant hat. So wie bei der bayrischen Band Dreiviertelblut. Als sich Sebastian Horn und Gerd Baumann 2012 zusammenfinden, ist ihr Duo nicht mehr als ein Nebenprojekt, eine Liebhaberei. Erst auf mehrfachen Wunsch begeisterter Zuhörer hin nehmen sie 2013 ihr Debüt Lieder aus dem Unterholz auf. Inzwischen ist aus Dreiviertelblut eine siebenköpfige feste Band geworden, die den beiden Hauptprotagonisten immens wichtig ist. Mit ihrem dritten Album statten sie der Diskothek Maria Elend einen Besuch ab.

Text: Guido Diesing

Am Anfang von Dreiviertelblut stand eine Beerdigung. Gut, wirklich gestorben war niemand. Gerd Baumann arbeitete an einer Filmmusik für einen Krimi von Regisseur Max Färberböck und sollte für eine Beerdigungsszene einen typisch bayrischen Männergesang schreiben. Das Problem: Besonders bayrisch fühlt er sich gar nicht. „Ich wohne halt hier, bin aber nicht so aufgewachsen“, sagt er. Gut, wenn man jemanden kennt, den man um Hilfe bitten kann. Er sprach Sebastian Horn an, den Sänger und Bassisten der Bananafishbones. Der erinnert sich: „Gerd fragte mich: ,Fällt dir da was ein?‘ Da ich im Dorf aufgewachsen bin und mich im Bayrischen ganz gut auskenne, habe ich mir eine Beerdigung vorgestellt und einen Text geschrieben. Wir haben uns zusammengesetzt und ihn in Nullkommanix in ein wunderschönes Lied verwandelt. Als wir gemerkt haben, wie leicht uns das fällt, haben wir einen Song nach dem anderen gemacht, nur für uns zum Spaß.“
Da treffen sich zwei, die aus völlig unterschiedlichen Richtungen kommen und sich gerade deshalb viel zu sagen haben – der studierte Film- und Theatermusiker mit Jazz-Vergangenheit, mittlerweile Professor an der Münchner Musikhochschule, und der ehemalige Grufti mit Punkrock-Attitüde, der bis heute keine Noten lesen kann. „Ich bin da womöglich der Kopflastigere“, bestätigt Gerd, „und Wastl ist der totale Autodidakt. Es ist großartig, wenn man dann voneinander lernen kann und bereit ist, den Input des anderen anzunehmen. Das geht natürlich nur, wenn geschmacklich der gleiche Nenner da ist.“
In ihrer Zusammenarbeit sind die Rollen klar verteilt: Sebastian notiert Gedanken und Sprachfetzen, die ihm häufig bei Wanderungen durch den Kopf gehen, und verarbeitet sie zu Textentwürfen. Gerd liefert musikalische Ideen in verschiedensten Stilen und Gefühlszuständen. Im folgenden Arbeitsprozess tauschen sie sich aus, spielen sich die Bälle zu, inspirieren sich gegenseitig und wissen nur zu gut, was sie aneinander haben. „Ich habe ein ganz großes Vertrauen dem Gerd gegenüber, weil er eine so unglaubliche Erfahrung mit Musik hat“, sagt Sebastian. Er sei immer wieder begeistert, was aus seinen Texten entstehe. „Und angenehm überrascht, was es alles für Akkorde gibt“, fügt er lachend hinzu. Gerd gibt das Lob postwendend zurück: „Selbst wenn Wastl mit kryptischen Fragmenten ankommt, habe ich immer das Urvertrauen, dass da irgendetwas Tolles draus wächst, weil es in seinem Kopf schon klar ist, auch wenn es auf dem Papier noch nicht formuliert ist.“

Die Spielwiese des Horrors

Eine Beerdigungsszene als Startschuss – das wirkt rückblickend fast prophetisch. Die Themen Tod und Vergänglichkeit begleiten Dreiviertelblut von Anfang an und nehmen auch auf dem dritten Album Diskothek Maria Elend großen Raum ein. Da tanzen die Toten auf dem Friedhof („Campo Santo“), verwandelt sich eine Café-Besucherin in einen Werwolf („Schau“), fleht ein Verzweifelter um Hilfe, während sich musikalisch eine beeindruckende Klangwand aufbaut („Maria Elend“). Das zutiefst beunruhigende Anti-Schlaflied „Unter deim Bett“ spielt vor einschmeichelnden Bläsersätzen genussvoll mit kindlichen Ängsten und ist darin „Lullaby“ von The Cure nicht unähnlich. „Morbidität wohnt mir inne, seit ich dreizehn bin“, erklärt Sebastian. „Für mich war es nie so, dass Bands wie The Cure mich durch ihre Düsternis beschwert hätten. Das hat mich immer erleichtert und fröhlich gemacht, und so ist es auch jetzt. Für mich ist das eine Spielwiese des Horrors, die ich total genieße. Nicht umsonst ist das in Literatur und Film so ein beliebtes Thema, weil Menschen sich gerne damit auseinandersetzen und sich fürchten wollen. Ich habe nicht zuletzt im Biologiestudium erkannt, dass das Leben im Grunde genommen ein riesiger Friedhof ist, der sich ständig erneuert.“

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