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Backkatalog   Ausgabe Nr. 1/2017   Internetartikel
 

Folker-Halbmast



Angus Roderick Grant * Foto: Douglas Robertson

ANGUS R. GRANT


14.2.1967, Fort William, Schottland,
bis 09.10.2016, Edinburgh, Schottland


Er war nicht zu übersehen. Lange Haare, dichter Vollbart, erste graue Strähnen. Er bewegte seinen schlanken Körper auf der Bühne eher wie ein Rock ’n’ Roller, aber Angus Roderick Grant war der Fiddler der schottischen Band Shooglenifty. Und es war sein Fiddlespiel in Kombination mit der Mandoline, das seit 1990 den Sound der Band prägte. Traditionell und keltisch klingende Motive, häufig selbst geschrieben, wurden mit hypnotischen Dance- und Clubbeats gemischt und ergaben den typischen Shooglenifty-Sound, wahlweise „Acid Coft“ oder „Dub Ceilidh“ genannt. Das Titelstück des ersten Shooglenifty-Albums von 1994 Venus In Tweeds stammt übrigens von Grant. Angus Grant sah aus wie ein Freigeist, und Menschen, die ihn persönlich kannten, haben ihn auch genau als einen solchen beschrieben. Er war ungebunden, ohne Mobiltelefon oder Computer und sah sich nur seiner Musik verpflichtet. Er liebte die schottische Westküste und verschwand häufig, um lange Wanderungen oder Reisen zu unternehmen, meist in die Highlands, um dann in irgendeiner Kneipe aufzutauchen oder spontan bei seinen Freunden vorbeizuschauen. Das Ende kam schnell. Der Krebs wurde gegen Mitte 2016 entdeckt, im August spielte er mit seinen Shoogle-Brüdern noch auf einigen Festivals, und Anfang Oktober verstarb er friedlich im Kreise seiner Familie im St. Columba’s Hospice in Edinburgh.

Mike Kamp



Leonard Cohen

LEONHARD COHEN


21.9.1934, Montreal, Kanada
bis 7.11.2016, Los Angeles, USA


„I’m leaving the table, I’m out of the game.“ Leonard Cohen hat gewusst, dass es zu Ende geht, er war vorbereitet und reisefertig. Mit ihm hat in diesem Jahr eine weitere Legende den Musikplaneten verlassen, eine der ganz Großen. Groß, weil er markante Konturen in Sprache, Schrift und Ton setzte. „Pate der Düsterkeit“ wurde er genannt, dabei war er einer, der etwas zu sagen hatte und sich traute, dies zu tun. Schüchtern war er, wie er selbst sagte, zerbrechlich, zögernd, zaghaft konnte er trotz aller Stärke bis zum Schluss wirken. Frühe Filmaufnahmen zeigen wie während einer Konzertreise die Tonanlage versagt, die Leute ihr Geld zurückfordern, und Cohen, der mit jedem Einzelnen persönlich zu verhandeln versucht, sein Publikum um Verständnis bittet. Seine frühere Managerin brachte ihn um sein Geld, und Cohen erklärte, er müsse weitermachen, um Familie und Kinder zu versorgen. Das Fürsorgliche, die Wärme und Tiefe, eine unglaubliche Liebesgabe wie -sehnsucht, in jedem seiner Songs sind sie zu hören. Sein „Hallelujah“ ist zur Hymne aller Sinnsucher geworden. Begonnen hatte er als Schriftsteller und Poet, verkauft wurden zunächst nur wenige hundert Exemplare seiner Bücher. Erst als er zu singen begann, „Suzanne“ beschwörte und „So Long, Marianne“ besang, wollten alle, die sich von seiner Musik berührt fühlten, auch seine Texte verinnerlichen. Cohens große Liebe war jene „Marianne“, die Norwegerin Marianne Ihlen. In Griechenland liefen sie einander über den Weg. „Die schönste Frau, die ihm je begegnet ist“, schmückte gleich darauf die Rückseite eines seiner Plattencover, wurde wie er zur Ikone, ihre Liebesgeschichte zum Mythos vom ewigen Zusammengehen und Auseinanderkommen, der beide bis zu ihrem fast gleichzeitigen Tod begleitete, beflügelte und ummantelte.

Stefan Sell



Ndiouga Dieng

NDIOUGA DIENG


ca. 1946/47, Rufisque, Senegal,
bis 10.11.2016, Dakar, Senegal


Am 10. November starb im Alter von 69 Jahren nach langer Krankheit der senegalesische Musiker Ndiouga Dieng. Dieng wurde international als Mitglied des Orchestra Baobab bekannt, zu deren Urbesetzung er gehörte. Als Sänger und Komponist prägte er das Repertoire der Big Band aus Dakar wesentlich mit und war bis zum vergangenen Sommer mit seiner charismatischen, hellen Stimme immer noch ein Teil des Line-ups, als das Orchester durch Europa tourte. Das Orchestra Baobab wurde 1970 in der senegalesischen Hauptstadt zur Belebung eines Nachtclubs gegründet, in dem Politiker, Geschäftsleute und Staatsgäste des damaligen Präsidenten Léopold Senghor verkehrten. Es bestand über fünfzehn Jahre, bis die mit Salsa gemischten Melodien aus der Region Casamance und die Griotgesänge durch den poppigeren Mbalax abgelöst wurden. 2001 erlebte die Band im Zuge der Afro-Retrowelle jedoch eine Wiederbelebung. Diengs Landsmann Youssou N’Dour sprach von einem großen Verlust für die senegalesische Kunst. Nach Diengs Tod führt sein Sohn Alpha das Erbe fort, auch er ist Sänger bei der Band, die nun seit fast einem halben Jahrhundert besteht.

Stefan Franzen



Narf

NARF (FRANCISCO XAVIER PÉREZ VÁZQUEZ)


24.04.1968, Silleda, Galicien,
bis 15.11.2016, Santiago de Compostela, Galicien


Gerade im Galicien-Schwerpunkt (Folker 5/2016) gewürdigt, ist der auch für Theater oder Film komponierende Singer/Songwriter einer so kurzen wie schweren Krebserkrankung erlegen. Noch drei Wochen zuvor gab der sympathische Endvierziger, eine schon jetzt schmerzhaft vermisste Größe der galicischen Musikszene, mit viel Elan und Bravour eines der vielleicht spannendsten und über den längsten Zeitraum entwickelten Konzerte seiner vielgestaltigen Vita. Der bei der Weltmusikmesse WOMEX in seiner Heimatstadt gefeierte Auftritt mit den mosambikanischen Musikerfreunden von Timbila Muzimba sollte sein letzter überhaupt werden.

Katrin Wilke



Gisela May

GISELA MAY


31.5.1924, Wetzlar,
bis 2.12.2016, Berlin


Ihre ersten Brecht-Interpretationen erarbeitete sie 1957 noch mit dem Komponisten Hanns Eisler. „Er sang mir die Lieder nicht vor, mit seiner heiseren Stimme krähte er sie mir vor“, schwärmte sie in einem unserer vielen Interviews. „Ich wusste genau, was er meinte, war aber nie versucht, ihn nachzuahmen.“ Bald spielte sie am Berliner Ensemble in vielen Brecht-Stücken und trug seine Songs von Ostberlin aus in die Welt. Lieder, die Lust auf Veränderung machen, begeisterten sie. Immer wieder erklärte sie singend dem Militarismus den Krieg. So setzt ihre Interpretation von Tucholskys „Graben“ bis heute Maßstäbe, auch wenn bei ihr die Aufforderung fehlt, „die Fahnen“, also alle Fahnen, fortzuwerfen. Das mochten die DDR-Oberen nicht mal von „der May“ hören. Auch bei dem vermeintlich unpolitischen Jacques Brel interessierten sie bevorzugt Lieder, die über Liebesleid hinausgehen. Musikalisch nahm sie ihn so ernst wie Eisler und hielt sich genauer an die Noten als Brel selbst. Das machte es spannender, aber nicht einfacher, als ich Brel-Chansons für sie ins Deutsche übertragen durfte. Nach der Wende wurde sie von der neuen Leitung des Berliner Ensembles als „nicht mehr verwendbar“ entlassen. Erst unter der Intendanz von Claus Peymann konnte sie dort wieder mit Liedprogrammen auftreten und zeigen, dass sie Relevanteres mitzuteilen hat als „Sag nicht immer Muddi zu mir“ in den ARD-Schmunzelkrimis Adelheid und ihre Mörder.

Stephan Göritz



Esma Redžepova * Foto: Stipe Mayi

ESMA REDŽEPOVA


8.8.1943, Skopje, Mazedonien,
bis 11.12. 2016, Skopje, Mazedonien


Wenn sie mit einem Schleier vorm Gesicht ein Klagelied sang, Minuten später einen für sie geschriebenen Čoček , dann lag ihr das Publikum zwischen Berlin, New York oder Skopje zu Füßen. Seit den frühen Sechzigerjahren war sie im Vielvölkerstaat Jugoslawien ein Star. In Šutka, einer Romasiedlung vor den Toren Skopjes, wuchs Esma Redžepova auf. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen aus Rumänien oder Bulgarien konnte sie von Festival zu Festival reisen und wurde weltweit bekannt. Esma „La Divina“, wie sie gern genannt wurde, sang für Präsidenten wie Josip Broz Tito genauso wie für den Mann von nebenan und verstand sich als stolze Botschafterin für die Romakultur Mazedoniens. Die Tochter eines Schusters sang zuerst vor Freunden und traf dann als Teenager bei Radio Skopje den begnadeten Akkordeonisten und Bandleader Stevo Teodosievski.
Beide wurden nicht nur ein Ehe-, sondern Jahre später auch das Traumpaar der mazedonischen Folklore. Viele ihrer Lieder, darunter das von Redžepova geschriebene „Chaje Shukarije“, wurden zu viel kopierten Hymnen des ganzen Balkans. 1976 reisten sie mit dem Auto nach Indien und bekamen in Chandigarh gemeinsam den Titel „Queen and King of Gypsy Music“ verliehen. Als Ihre Heimat Jugoslawien zerfiel zogen Redžepova und Teodoseviski von Belgrad nach Skopje zurück, lebten zuerst in einer Hütte, doch etablierten sich bald wieder in der lokalen Szene. Nach dem Tod ihres Mannes 1997 gelang Redžepova zwei Jahre später eine fulminante Rückkehr auf das internationale Parkett beim Neujahrskonzert im Concertgebouw Amsterdam. Seitdem konnte man Esma la Divina regelmäßig in europäischen Konzertsälen erleben, neue Aufnahmen entstanden, mit der Mostar Sevdah Reunion, der Fanfare Ciocărlia oder ihrem eigenen Ensemble.

Grit Friedrich